Beschluss vom 08.11.2006 -
BVerwG 1 B 204.06ECLI:DE:BVerwG:2006:081106B1B204.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.11.2006 - 1 B 204.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:081106B1B204.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 204.06

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 11.08.2006 - AZ: OVG 1 LB 125/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. November 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund, Richter und
Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. August 2006 wird verworfen.
  2. Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch der Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, Art. 103 Abs. 1 GG) sind entsprechend den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.

2 1. Die Beschwerde wirft keine rechtliche Grundsatzfrage auf, mit der sie die Zulassung der Revision erreichen könnte. Vor dem Hintergrund, dass einige verwaltungsgerichtliche und behördliche Entscheidungen sowie mehrere Erkenntnisquellen davon ausgehen, dass für tschetschenische Volkszugehörige in der Russischen Föderation keine Fluchtalternative existiert, das Berufungsgericht eine solche aber annimmt, hält die Beschwerde die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine solche Fluchtalternative besteht. Die grundsätzliche Bedeutung folge aus der „unterschiedlichen Spruchpraxis“ zu dieser „Tatsachenfrage“ (vgl. S. 3 und 16 Beschwerdebegründung). Damit wirft die Beschwerde indes keine der Klärung in einem Revisionsverfahren zugängliche Rechtsfrage auf. Die Frage zielt nämlich nicht auf die rechtlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative, sondern betrifft - auch nach den weiteren Ausführungen der Beschwerde hierzu - in erster Linie die Bedrohungslage und Existenzbedingungen für tschetschenische Binnenflüchtlinge in der Russischen Föderation. Das aber lässt sich nur aufgrund der dem Tatrichter vorbehaltenen Feststellung und Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Russischen Föderation beantworten und ist damit - wie die Beschwerde auch selbst einräumt - eine Tatsachenfrage, die sich einer verbindlichen Klärung im Revisionsverfahren entzieht.

3 2. Auch ein Verfahrensmangel durch Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beigeladenen ist nicht schlüssig dargelegt. Einen solchen sieht die Beschwerde in dem vom Berufungsgericht gewählten Verfahren der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 130a VwGO, obwohl die Beigeladenen vorgetragen hätten, dass sie das Berufungsgericht „in einer mündlichen Verhandlung davon überzeugen wollten, dass aufgrund von Einzelfallbesonderheiten eine landesweite Gefahrenlage vorliegt“ und bereits deshalb der herabgestufte Prognosemaßstab anzuwenden sei. Auch hätten sie darauf verwiesen, dass das Verwaltungsgericht ihr Vorbringen als glaubhaft eingestuft habe (Beschwerdebegründung S. 1 ff., 3). Damit und mit dem weiteren Vortrag hierzu in der Art einer Berufungsbegründung zeigt die Beschwerde weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen sonstigen Verfahrensrechtsverstoß auf. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (stRspr, etwa Beschluss vom 6. März 2000 - BVerwG 9 B 81.00 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 48). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie macht zwar geltend, die Beigeladenen hätten das Berufungsgericht in einer mündlichen Verhandlung davon überzeugen können, dass in ihrem Fall aufgrund von Besonderheiten eine landesweite Gefahrenlage vorliege, legt aber nicht dar, welche besonderen Umstände sie hätten mit Aussicht auf eine günstigere Entscheidung vortragen wollen und warum sich dem Berufungsgericht insofern eine persönliche Anhörung der Beigeladenen hätte aufdrängen müssen. Insbesondere hat das Berufungsgericht auch nicht etwa entscheidungserhebliche Angaben der Beigeladenen abweichend von der ersten Instanz als unglaubhaft oder unglaubwürdig behandelt (vgl. BA S. 16). Im Übrigen legt die Beschwerde nicht - wie erforderlich - dar, inwiefern es im Zusammenhang mit der von ihr vermissten mündlichen Verhandlung und Anhörung der Beigeladenen auf die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs wegen erlittener Vorverfolgung ankommen soll, nachdem das Berufungsgericht seine Entscheidung tragend damit begründet hat, dass tschetschenischen Volkszugehörigen wie den Beigeladenen außerhalb Tschetscheniens regelmäßig eine inländische Fluchtalternative offensteht (BA S. 7 ff.), es sei denn, sie hätten sich im Tschetschenienkonflikt besonders engagiert oder entsprechend verdächtig gemacht (BA S. 16). Soweit sich die Beschwerde schließlich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht eine „herausgehobene Stellung“ der Beigeladenen (gemeint ist wohl in dem zuvor genannten Sinne eines Engagements im Tschetschenienkonflikt) verneint habe, greift sie lediglich die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts an, ohne einen Verfahrensverstoß aufzuzeigen.

4 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.