Beschluss vom 08.04.2004 -
BVerwG 2 B 28.04ECLI:DE:BVerwG:2004:080404B2B28.04.0

Beschluss

BVerwG 2 B 28.04

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 12.11.2003 - AZ: OVG 6 A 404/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. B a y e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. November 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 53 895 € festgesetzt.

Die auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, gestützte Beschwerde ist unbegründet. Keine der von ihr aufgeworfenen Fragen ist rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig.
Die Frage,
welche Bedeutung den im anzufechtenden Urteil (S. 26/27) angeführten Gesetzgebungsmaterialien und dem Fehlen jeglicher gesetzlicher Regelungen, wie sie bei einer Anwendbarkeit des Gesetzes auf den Kläger zu erwarten gewesen wären (konkrete Anwendungsermächtigung mit Vorgaben für die Ermessensausübung und das einzuhaltende Verfahren, Einräumung einer Übergangsfrist oder Aufnahme einer Härteklausel), bei einer - im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG zur unechten Rückwirkung - verfassungskonformen Auslegung des § 182 Abs. 2 LBG NW zukommt,
lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.
Mittels verfassungskonformer Auslegung wird von den Auslegungsergebnissen, zu denen eine Interpretation nach den allgemeinen Auslegungsmethoden führt, diejenige Gesetzesbedeutung gewonnen, die mit der Verfassung übereinstimmt (BVerfGE 48, 40 <45>; 64, 229 <242>; Urteil vom 2. März 2000 - BVerwG 2 C 1.99 - BVerwGE 110, 363 <369 m.w.N.>). Für das Auffinden dieser Bedeutung der Gesetzesaussage sind die Äußerungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags, die auf Seite 26/27 des Berufungsurteils angeführt sind, ohne Bedeutung. Soweit es indessen um das - der Ermittlung der Verfassungskonformität vorausgehende - Auffinden des Gesetzessinns nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungsmethoden geht, stehen aus dem Gesetzgebungsverfahren erkennbare subjektive Zielvorstellungen nicht dem objektiven Gesetzesinhalt gleich. Der Wille der gesetzgebenden Instanzen ist für die Interpretation nur insoweit bedeutsam, als er auch im Gesetzestext selbst Niederschlag gefunden hat (BVerfGE 62, 1 <45>; Urteil vom 2. März 2000 - BVerwG 2 C 1.99 - a.a.O.).
Welche Bedeutung das Fehlen einer gesetzlichen Regelung, in der die Auffassung des Gesetzgebers von der Anwendbarkeit des § 182 Abs. 2 LBG NW auf den Kläger zum Ausdruck kommt, für die verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift hat, ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Wenn die neu geschaffene Norm aufgrund des Zeitpunkts ihres In-Kraft-Tretens und des Fehlens einer Übergangsregelung auf den Kläger anwendbar ist, ist ihre Nichtgeltung für ihn nur denkbar, wenn Verfassungsrecht dies, z.B. in Form der Notwendigkeit einer Übergangsvorschrift, fordert. Eine dieser Notwendigkeit Rechnung tragende verfassungskonforme Auslegung wäre wiederum nicht möglich, wenn die neugeschaffene Norm sich ihrem eindeutigen Wortlaut nach und unter Ausschluss jeglicher Übergangsregelung Geltung auch für den Kläger beilegen würde.
Die Frage,
ob es sich noch im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums hält, ein nichtpolitisches Amt in ein politisches Amt umzuwandeln, wenn diese Umwandlung auch für den Stelleninhaber (ohne dessen Einverständnis) gelten soll, ohne dass das Gesetz die Voraussetzungen für eine solche Anwendung regelt,
ist ebenfalls durch die Rechtsprechung geklärt.
Die Gesetzesvorschrift über die Umwandlung eines "nichtpolitischen" in ein politisches Amt, die, wie § 182 Abs. 2 LBG NW, sich Geltung auch für den Amtsinhaber beilegt, der im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung das Amt inne hat, entfaltet eine unechte Rückwirkung. Unecht zurückwirkende Gesetze sind grundsätzlich zulässig (BVerfGE 30, 392 <402>; 43, 242 <286>; 69, 272 <309>; 95, 64 <86>; Urteil vom 22. März 2001 - BVerwG 2 CN 1.00 - Buchholz 237.6 § 75 c NdsLBG Nr. 1 S. 6). Allerdings kann der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes je nach Lage der Verhältnisse im einzelnen Fall der Regelungsbefugnis Grenzen setzen (BVerfGE 30, 392 <402>; 43, 242 <286>; Urteil vom 22. März 2001 - BVerwG 2 CN 1.00 - a.a.O.). Zur Bestimmung dieser Grenzen ist zwischen dem Vertrauensschutz auf den Fortbestand des Rechtszustandes nach der bisherigen gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen (BVerfGE 43, 242 <286 m.w.N.>). Diese Abwägung kann bei besonderer Dringlichkeit der die Neuregelung rechtfertigenden Gründe zu einer sofortigen, übergangslosen Inkraftsetzung führen (BVerfG a.a.O.). Die Probleme, die dadurch für die von der Neuregelung Betroffenen verursacht werden, sind dann von der zuständigen Behörde im Rahmen der Einzelentscheidung, die sie in Anwendung der neu geschaffenen Norm zu treffen hat, unter Beachtung aller individuellen Umstände nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit zu lösen (BVerfG a.a.O. S. 289). Bei der Schaffung des § 182 Abs. 2 LBG NW als einer zu einer derartigen Einzelentscheidung ermächtigenden Norm war der nordrhein-westfälische Gesetzgeber nicht gehalten festzulegen, nach Maßgabe welcher Kriterien gegenüber dem gegenwärtigen Inhaber des Amtes eines Direktors beim Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen von der neu geschaffenen Möglichkeit, den Amtsinhaber in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, Gebrauch zu machen ist. Dass diese Möglichkeit auch gegenüber dem Kläger als dem gegenwärtigen Amtsinhaber bestehen soll, hat der Landesgesetzgeber durch die übergangslose Inkraftsetzung des § 182 Abs. 2 LBG NW bestimmt. Für die Ausübung der Ermessensbefugnis der zuständigen Behörde bedurfte es keiner - weiteren - gesetzgeberischen Vorgaben. Dass das Vertrauen des Klägers darauf, in der Innehabung des Amtes, das ihm bei seiner Ernennung zum Direktor beim Landtag als "nichtpolitisches" Amt übertragen worden ist, geschützt zu sein, bei der Ermessensentscheidung als bedeutsamer Gesichtspunkt zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Gebot einer sachgerechten Ermessensausübung. Einer nochmaligen Statuierung dieser Obliegenheit im Landesbeamtengesetz bedurfte es nicht.
Um zu klären, dass - im Sinne der weiteren Fragestellung der Beschwerde - eine übergangslos in Kraft tretende gesetzliche Regelung, wonach ein bisher als Regelstatusamt ausgestaltetes Amt in ein sog. politisches Amt umgewandelt wird, der behördlichen Versetzung eines Regelstatusbeamten in ein politisches Amt nicht gleichsteht, und zwar weder nach der Rechtsnatur der beiden Rechtsakte noch nach den dabei anzustellenden Erwägungen, bedarf es ebenfalls keines Revisionsverfahrens.
Die Frage,
ob die im anzufechtenden Urteil angenommene und als ausreichend angesehene Abwägung zwischen dem Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand seines Regelbeamtenstatus und der Bedeutung des mit § 182 Abs. 2 LBG NW verfolgten Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit grundlegende Fehler aufweist (die auf eine Verfassungsbeschwerde des Klägers zur Aufhebung der Entscheidung führen würden),
ist nicht rechtsgrundsätzlicher Art. Ob das Berufungsgericht die behördliche Güterabwägung in der angefochtenen Ermessensentscheidung zutreffend für rechtmäßig erachtet hat, ist nicht von einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung. Die Frage betrifft den Einzelfall des Klägers; ihre Beantwortung würde nicht zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts beitragen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a i.V.m. Satz 2 GKG (sechseinhalbfacher Betrag des Endgrundgehalts zuzüglich ruhegehaltfähiger Zulagen, vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1994 - BVerwG 2 B 143.94 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 83).