Beschluss vom 07.05.2003 -
BVerwG 4 BN 22.03ECLI:DE:BVerwG:2003:070503B4BN22.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.05.2003 - 4 BN 22.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:070503B4BN22.03.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 22.03

  • Niedersächsisches OVG - 04.11.2002 - AZ: OVG 9 KN 24/02

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. November 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerten Überzeugungsgrundsatz. Danach entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter, wie hier die Antragstellerin, eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem sie andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein - angeblicher - Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - <Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.>). Der allenfalls in Betracht kommende Ausnahmefall einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts durch das Gericht ist nicht dargelegt. Er setzt einen zweifelsfreien, also offensichtlichen Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - <Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 m.w.N.>). Ein solcher Widerspruch ist jedoch nicht dargetan. Denn das Gericht hat in seinem Urteil festgestellt, der Vertreter der Antragsgegnerin habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - unwidersprochen - vorgetragen, dass bei Einhaltung des gegenüber dem nächstgelegenen Wohnhaus zu beachtenden Immissionswertes auch die für die anderen Bereiche geltenden Grenzwerte eingehalten würden. Die Antragstellerin trägt mit ihrer Beschwerde vor, der Vertreter der Antragsgegnerin habe dies nicht vorgetragen - erst recht nicht unwidersprochen. Demgegenüber hält die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung fest, dass sie wie dargestellt vorgetragen habe.
Der Hinweis der Antragstellerin, ein entsprechender Vortrag sei in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht enthalten, führt nicht weiter, denn diese gibt die Ausführungen der Beteiligten in der Verhandlung nicht im Einzelnen wieder; dies ist auch nicht geboten. Nach § 105 VwGO in Verbindung mit § 160 ZPO (vgl. insbesondere dessen Absatz 3) sind Aussagen der "vernommenen Parteien" festzustellen; eine Parteivernehmung (§ 445 ff. ZPO) ist jedoch nicht erfolgt.
Damit verbleibt es auch hinsichtlich des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung beim Grundsatz, dass dessen Feststellung Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Dem Akteninhalt lässt sich nichts dafür entnehmen, dass die Feststellung des Gerichts, der Vertreter der Antragsgegnerin habe die genannten Tatsachen vorgetragen, offensichtlich unrichtig sei. Daran ändert auch der Hinweis in der Beschwerdebegründung auf bestimmte Ergebnisse des von der Antragsgegnerin im Bebauungsplanaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens nichts. Denn damit legt sie nur ihre Interpretation des genannten Gutachtens dar. Der Senat braucht sich mit den Einzelheiten dieses Gutachtens schon deswegen nicht auseinander zu setzen, weil das Tatsachengericht seine Feststellung nicht auf eine detaillierte Würdigung dieses Gutachtens gestützt hat, sondern auf die in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen.
Davon abgesehen legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, dass das Normenkontrollgericht bei Vermeidung des - unterstellten - Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Hierfür gibt sie nur die Ausführungen im Urteil auszugsweise wieder. Damit wird sie den Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Dies gilt vorliegend umso mehr, da das Normenkontrollgericht in seinen vorangehenden Ausführungen zu dem Ergebnis gelangt, die 1972 angeordnete Begrenzung von Immissionen in Bezug auf ein bestimmtes Wohnhaus habe zugleich die Immissionen in alle anderen Richtungen beschränkt. Damit begründet es seine Aussage, die Antragsgegnerin habe davon ausgehen dürfen, dass eine bestimmte nächtliche Nutzung des Grundstücks der Antragstellerin keinen Bestandsschutz genieße. Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob es dem Normenkontrollgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung überhaupt entscheidungserheblich darauf ankam, ob bei Einhaltung des gegenüber dem nächstgelegenen Wohnhaus zu beachtenden Immissionswertes auch die für die anderen Bereiche geltenden Grenzwerte eingehalten würden oder ob, wenn diese noch überschritten werden, der Bebauungsplan ebenso abwägungsfehlerfrei erlassen werden durfte. Hierzu trägt die Beschwerde jedoch nichts Substantielles vor. Hierfür genügt auch nicht die im Schriftsatz vom 29. April 2003 aufgestellte schlichte Behauptung, das Oberverwaltungsgericht habe sein Urteil "im Wesentlichen" auf die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Behauptung gestützt. Denn die Formulierungen im Urteil des Normenkontrollgerichts vermitteln eher den gegenteiligen Eindruck.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).
Die Beschwerde hält die Fragen für klärungsbedürftig,
ob eine Nebenbestimmung zu einer Baugenehmigung, die den bei der Nutzung der genehmigten baulichen Anlage einzuhaltenden Lärmwert in Bezug auf ein näher spezifiziertes, bereits vorhandenes Wohnhaus bestimmt, den Umfang der zulässigen Nutzung des gesamten Grundstücks auch im Hinblick auf an anderen Grundstücksgrenzen später entstehende Nachbarbebauung konkretisieren kann und ob eine Nebenbestimmung zu einer Baugenehmigung, die den bei der Nutzung der genehmigten baulichen Anlage einzuhaltenden Lärmwert in Bezug auf ein näher spezifiziertes, bereits vorhandenes Wohnhaus bestimmt, den für das Betriebsgrundstück bestehenden Bestandsschutz auch bezüglich einer später erteilten - bestandskräftigen - Baugenehmigung, die eine solche Nebenbestimmung nicht enthält, festlegen kann.
Diese Fragestellung rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn die Beschwerde legt nicht dar, inwiefern damit eine von den Besonderheiten des Einzelfalls, auf die sie selbst zur Begründung Bezug nimmt, losgelöste Fragestellung aufgeworfen wird. Davon abgesehen berührt die Frage, soweit sie auf den Inhalt einer Baugenehmigung und der in ihr enthaltenen Nebenbestimmungen Bezug nimmt, im Wesentlichen Landesrecht. Im Übrigen liegt die Vorstellung, dass in einer Nebenbestimmung zu einer die Erweiterung einer baulichen Anlage genehmigenden Entscheidung auf Betreiben des Gewerbeaufsichtsamts zulässigerweise Einzelheiten der Nutzung dieser Anlage am Tage und in der Nacht geregelt werden können, keineswegs fern. Mit einer derartigen Auflage wird die Befugnis des Grundstückseigentümers zur Nutzung seiner Betriebsflächen konkretisiert. Diese Regelung ist von ihm unabhängig davon zu beachten, welcher seiner Nachbarn sich darauf berufen kann. Schließlich ist zweifelhaft, inwiefern es auf die angesprochenen Fragen in einem Normenkontrollverfahren, das die Wirksamkeit eines später beschlossenen Bebauungsplans betrifft, überhaupt ankommt; auch hierzu trägt die Beschwerde nichts Substantielles vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.