Beschluss vom 06.11.2012 -
BVerwG 8 B 46.12ECLI:DE:BVerwG:2012:061112B8B46.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.11.2012 - 8 B 46.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:061112B8B46.12.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 46.12

  • VG Greifswald - 02.02.2012 - AZ: VG 6 A 1248/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 2. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Entgegen der Ansicht der Beschwerde kommt der Streitsache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. Beschluss vom 29. Dezember 2010 - BVerwG 8 B 33.10 - juris).

3 Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beschwerdebegründung legt bereits keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar. Sie formuliert keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme.

4 a) Die zunächst von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, „ob eine angeblich vor dem 29.09.1990 erfolgte Widmung zur Inanspruchnahme als Straßenland heute noch zu Lasten der Klägerin geltend gemacht werden kann, wenn nach dem Stichtag 29.09.1990, nämlich am 10.04.1991 durch öffentliche Urkunde belegt, der Bürgermeister der Gemeinde durch Unterzeichnung des Negativattestes zum Kaufvertrag die Grundstücksgröße mit 2 561 qm ausdrücklich bestätigt hat“, wendet sich gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts im Einzelfall und versucht, aus dieser einen allgemeinen Rechtssatz abzuleiten. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen.

5 b) Soweit die Klägerin für grundsätzlich bedeutsam erachtet, „ob das Gericht eine auch nur teilweise Übertragung der streitgegenständlichen Fläche in das Eigentum der Klägerin als nicht möglich unterstellen konnte“, arbeitet sie keine noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts heraus. Vielmehr beschränken sich ihre diesbezüglichen Ausführungen darauf, die Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG im Stil einer Berufungsbegründung zu kritisieren und der verwaltungsgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung die eigene gegenüberzustellen.

6 c) Auch die von der Klägerin aufgeworfene Frage, „ob die hiesige Beklagte und die Beigeladene sich aus dem seitens der Beigeladenen gefassten Beschluss der Gemeindevertretung, die hiesige Beklagte aus der als möglich mitgeteilten beabsichtigten geänderten Entscheidung verabschieden können“, oder ob dies aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit rechtlich unzulässig ist, führt nicht zur Zulassung der Revision. Es handelt sich hierbei nicht um eine abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifendem Gewicht, sondern um eine Frage, die im Einzelfall verhaftet ist.

7 2. Ferner rechtfertigen die von der Beschwerde erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht die Zulassung der Revision. Eine zulassungsbegründende Divergenz liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Rechtssatz von einem eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts) tragenden Rechtssatz abgewichen ist. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18 und vom 30. November 2011 - BVerwG 8 B 48.11 - ZOV 2012, 61). Die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze ist zur ordnungsgemäßen Erhebung der Divergenzrüge unverzichtbar. Die Begründung darf sich auch nicht darin erschöpfen, die fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung von Rechtssätzen aufzuzeigen. Denn die mangelhafte Rechtsanwendung im Einzelfall bezeichnet keine Divergenz (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 31 f.).

8 Soweit die Beschwerde eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2002 - BVerwG 8 C 1.01 - geltend macht, ist der Zulassungsgrund der Divergenz nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, eine fehlerhafte Rechtsanwendung zu rügen, die, wie oben ausgeführt, den Zulassungsgrund der Divergenz nicht zu begründen vermag.

9 Auch zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 32.99 - legt die Beschwerde keinen Rechtssatzwiderspruch dar. Die erfolgte Divergenzrüge scheitert schon daran, dass dieses Urteil sich nicht mit § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG, sondern mit § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG befasst.

10 3. Das angefochtene Urteil beruht schließlich auch nicht auf den behaupteten Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

11 Dem Vorbringen der Klägerin ist bereits nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, welcher Verfahrensmangel gerügt werden soll.

12 a) Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Rüge mangelnder Sachaufklärung erhoben werden soll (§ 86 Abs. 1 VwGO), ist dieser Verfahrensmangel nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt. Dies erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. Beschluss vom 7. Oktober 2011 - BVerwG 8 B 35.11 - m.w.N. juris). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.

13 aa) Soweit die Klägerin vorträgt, „es hätte vom zeitlichen Ablauf her geklärt werden müssen, weshalb, wenn denn angeblich eine Widmung zu DDR-Zeiten als Straßenland erfolgt sein sollte, noch am 10.04.1991 durch öffentliche Urkunde, unterzeichnet vom Bürgermeister, die Grundstücksgröße mit 2 561 qm bestätigt wird“, legt sie insbesondere nicht dar, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen und inwiefern diese unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätten führen können. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht etwa durch Stellen entsprechender Beweisanträge auf die Vornahme einer Sachverhaltsaufklärung gedrungen hätte oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die von ihr für erforderlich gehaltenen Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.

14 bb) Soweit die Klägerin rügt, dass nicht geprüft worden sei, „ob und in welchem Umfange die hier außerhalb des Verfahrens beschwerdeführenden Eigentümer des Nachbargrundstücks im konkreten Fall belastet wären und ob diese Gründe bereits vor dem Stichtag 29.09.1990 vorgelegen haben“, legt sie schon nicht dar, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Nach § 86 Abs. 1 VwGO ist das Gericht zur Ermittlung des Sachverhalts nur verpflichtet, soweit dieser entscheidungserheblich ist (vgl. Beschluss vom 23. Dezember 2009 - BVerwG 8 BN 1.09 - juris). Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil bei seiner Würdigung nicht entscheidungserheblich auf die Betroffenheit am Verfahren unbeteiligter Dritter (insbesondere Eigentümer von Nachbargrundstücken) abgestellt; für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Rückübertragung der streitgegenständlichen Flächen an die Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG wegen der Widmung dieser Flächen zum Gemeingebrauch ausgeschlossen sei, kam es ihm nicht auf die von der Klägerin für klärungsbedürftig erachtete Frage an, weshalb sich dem Verwaltungsgericht auch eine weitere Sachaufklärung nicht aufdrängen musste.

15 b) Schließlich greift auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen des Erlasses einer Überraschungsentscheidung nicht durch.

16 Eine solche Überraschungsentscheidung im Rechtssinne ist nur gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Beschluss vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 B 13.01 -). Daran fehlt es hier.

17 Das Verwaltungsgericht hat ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2012 seine Rechtsauffassung dargelegt und nicht den Eindruck erweckt, dass es der Klage stattgeben wollte. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, welchen konkreten Sachvortrag das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung übergangen hat oder an welchem konkreten weiteren Sachvortrag die Klägerin durch die Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts gehindert worden ist und dass das Verwaltungsgericht bei der gebotenen Kenntnisnahme vom zusätzlichen Vortrag möglicherweise anders entschieden hätte.

18 Im Übrigen erschöpft sich die Beschwerde in der Art einer Berufungsbegründung in Angriffen gegen die Entscheidung der Vorinstanz, ohne einen der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe zu benennen.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 152 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.