Beschluss vom 06.06.2003 -
BVerwG 1 B 265.02ECLI:DE:BVerwG:2003:060603B1B265.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.06.2003 - 1 B 265.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:060603B1B265.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 265.02

  • Bayerischer VGH München - 24.05.2002 - AZ: VGH 9 B 99.30108

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Juni 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Mai 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Erfolg. Sie beanstandet im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers zu gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen in Äthiopien nicht ohne seine persönliche Anhörung hätte als unglaubhaft werten dürfen. Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, verweist der Senat gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Der Kläger rügt u.a., dass das Berufungsgericht sein Vorbringen in dem im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO ergangenen Beschluss nicht geglaubt hat, wonach er bei seiner Rückkehr nach Äthiopien im September 1994 am Flughafen festgenommen und drei Tage lang in einer Kaserne bei Debrezeit verhört worden sei und sich anschließend bis zu seiner Ausreise bei Verwandten bei Wollega aus Furcht vor Verfolgung verborgen gehalten habe (Beschwerdebegründung S. 1). Der Kläger sieht hierin und in weiteren Teilen des angegriffenen Beschlusses, in denen das Berufungsgericht sein Vorbringen als unglaubwürdig angesehen hat jeweils einen Verfahrensverstoß, da sich das Berufungsgericht nur nach seiner persönlichen Anhörung eine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens hätte bilden und einen Beweisantrag ablehnen dürfen.
Der Verwaltungsgerichtshof stützt seine Versagung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG darauf, der Kläger habe "zur Überzeugung des Senats nicht glaubhaft gemacht", nach seiner Rückkehr nach Äthiopien politischer Verfolgung ausgesetzt oder davon auch nur bedroht gewesen zu sein (BA S. 7). Das Berufungsgericht hält es zwar für möglich, dass der Kläger als Angehöriger des Militärs und Begünstigter des früheren Regimes nach seiner Rückkehr nach Äthiopien im September 1994 zunächst in die Kaserne nach Debrezeit gebracht und zu den Gründen seiner späten Rückkehr in die Heimat vernommen wurde. Die angegebene Festnahme glaubt der Verwaltungsgerichtshof dem Kläger aber nicht, weil dieser als Angehöriger der Streitkräfte ohnehin verpflichtet gewesen sei, sich befehlsgemäß nach Debrezeit zu begeben und sich über seine späte Rückkehr und die Umstände seines weiteren Aufenthalts befragen zu lassen (BA S. 6). Er habe auch zur Überzeugung des Gerichts "nicht glaubhaft gemacht", sich bis zu seiner Ausreise in oder bei Wollega verborgen gehalten zu haben und schließlich aus Furcht vor Verfolgung ausgereist zu sein. Vielmehr habe das Gericht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eine ihm nach Verhören in Debrezeit drohende politische Verfolgung nur behaupte, um seinem Asylgesuch zum Erfolg zu verhelfen (BA S. 7).
Mit seiner Bewertung des klägerischen Vorbringens als unglaubwürdig, ohne den Kläger hierzu persönlich angehört zu haben, verletzt das Berufungsgericht Verfahrensrecht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats darf das Berufungsgericht aus der bei der Anhörung durch das Bundesamt protokollierten Aussage des Ausländers allenfalls dann auf dessen Unglaubwürdigkeit schließen, wenn diese Aussage solche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Unvereinbarkeiten mit gesicherten Erkenntnissen des Berufungsgerichts aufweist, dass sie die Wahrheit der behaupteten Tatsachen auch ohne einen persönlichen Eindruck des Gerichts von seiner Glaubwürdigkeit von vornherein ausschließen (vgl. Beschlüsse vom 17. April 2003 - BVerwG 1 B 226.02 - und vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1
AsylVfG Nr. 260 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Der angefochtene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfahrensverstoß. Nur für den Fall der nicht erfolgten Festnahme des Klägers am Flughafen ging das Gericht von einer fehlenden Verfolgungsgefahr aus. Es ist nicht auszuschließen, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vortrag zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal Glauben geschenkt und im Ergebnis anders entschieden hätte.
Da die Beschwerde wegen des festgestellten Verfahrensfehlers Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren Rügen. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass dem Kläger zwar eine Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylVfG, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt, seine geltend gemachten Verfolgungsgründe in schlüssiger Form darzulegen, nicht hingegen auch eine Pflicht, seinen Vortrag "glaubhaft zu machen", wie das Berufungsgericht zumindest missverständlich formuliert (vgl. hierzu Beschluss vom 19. Oktober 2001 - BVerwG 1 B 24.01 -
Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 317).