Beschluss vom 05.08.2010 -
BVerwG 2 C 29.10ECLI:DE:BVerwG:2010:050810B2C29.10.0

Beschluss

BVerwG 2 C 29.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Maidowski
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung des Klägers gegen das Urteil des Senats vom 27. Mai 2010 werden verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 In dem Revisionsurteil vom 27. Mai 2010 hat der Senat seine Rechtsprechung bestätigt, dass Ansprüche kinderreicher Beamter auf Zahlung eines höheren als des gesetzlich vorgesehenen Familienzuschlags für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind nach Maßgabe der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 300 <304>) erst ab demjenigen Haushaltsjahr bestehen, in dem der Beamte das gesetzliche Alimentationsdefizit gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht hat. Dementsprechend hat der Senat die Klage auf Zahlung erhöhter Besoldung für das dritte Kind des Klägers für die Jahre 2002 bis 2004 unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen abgewiesen, weil der Kläger die Höhe der familienbezogenen Bezüge erst im Jahr 2005 beanstandet hat.

2 Mit der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO macht der Kläger geltend, das Revisionsurteil vom 27. Mai 2010 verletze seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat nicht mit seinem Vorbringen auseinander gesetzt habe, Ansprüche aufgrund der Vollstreckungsanordnung dürften nicht an ein Mitwirkungserfordernis des Beamten geknüpft werden, weil
- die Auslegung der Vollstreckungsanordnung ergebe, dass eine derartige Anspruchsvoraussetzung ausgeschlossen sei;
- das Bundesverfassungsgericht abweichend von seiner früheren Rechtsprechung (Beschluss vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 -) erstmals mit der Vollstreckungsanordnung eine gesetzesgleiche Regelung geschaffen habe, die den Beamten unmittelbar Rechte einräume;
- das Bundesverfassungsgericht die Berechnung des verfassungswidrigen Alimentationsdefizits und damit die Höhe der durch die Vollstreckungsanordnung begründeten Ansprüche mit Bindungswirkung für den Besoldungsgesetzgeber vorgegeben habe.

3 Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der Gehörsanspruch verlangt jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht abgehandelt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 27 f., Beschluss vom 21. Juni 2007 - BVerwG 2 B 28.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 6; stRspr).

4 Danach ist das Vorbringen des Klägers nicht geeignet, eine Gehörsverletzung darzulegen (§ 152a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 VwGO). Mit der Anhörungsrüge wendet sich der Kläger gegen die Rechtsauffassung des Senats und die sie tragenden rechtlichen Argumente, denen er seine eigene abweichende rechtliche Beurteilung entgegensetzt. Er macht geltend, der Senat habe sein Revisionsvorbringen rechtlich fehlerhaft gewürdigt oder aufgrund unzutreffender rechtlicher Erwägungen in den Urteilsgründen nicht oder nur unzureichend erörtert. Darauf kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gestützt werden.

5 So wiederholt der Kläger seinen Vortrag aus dem Revisionsverfahren, die Auslegung der Vollstreckungsanordnung ergebe, dass die dadurch begründeten Ansprüche unabhängig von ihrer Geltendmachung bestünden. Dieser Auffassung ist der Senat nicht gefolgt. Demgegenüber hat der Senat in den Gründen des Urteils vom 27. Mai 2010 dargelegt, dass sich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 keine Aussage über das Anspruchserfordernis der rechtzeitigen Geltendmachung entnehmen lasse (Rn. 13 der Urteilsgründe). Der Senat hat die rechtliche Würdigung des Klägers nicht außer Acht gelassen, sondern ist ihr nicht gefolgt.

6 Gleiches gilt für die vom Kläger erneut vorgetragene Auffassung, bereits der Erlass der Vollstreckungsanordnung als solcher schließe das Anspruchserfordernis der zeitnahen Geltendmachung aus, weil sich das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen darauf beschränkt habe, ein verfassungswidriges Alimentationsdefizit festzustellen. Dieser Argumentation ist der Senat nicht gefolgt, weil die Ansprüche aufgrund der Vollstreckungsanordnung gesetzlichen Besoldungsansprüchen nicht gleichgestellt werden können (Rn. 16 f. der Gründe des Urteils vom 27. Mai 2010).

7 Schließlich hat der Senat zugrunde gelegt, dass die Feststellung, ob und in welcher Höhe im jeweiligen Haushaltsjahr ein verfassungswidriges Alimentationsdefizit besteht, aufgrund der Berechnungsvorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 99, 300 <321 ff.>) zu treffen ist. Diese entfalten insoweit Bindungswirkung. Dagegen ist dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Maßnahmen eröffnet, die er ergreift, um ein bestehendes Defizit zu beseitigen und derartigen Entwicklungen der Beamtenbesoldung vorzubeugen (Rn. 16 und 17 der Gründe des Urteils vom 27. Mai 2010).

8 Die Gegenvorstellung des Klägers ist unstatthaft, weil damit die inhaltliche Nachprüfung des im Rechtsmittelzug nicht anfechtbaren Revisionsurteils erreicht werden soll. Ungeachtet dessen wird die vom Kläger beanstandete Ungleichbehandlung durch das Anspruchserfordernis der zeitnahen Geltendmachung vorgegeben. Dieses Erfordernis widerspricht dem Zweck der Alimentation nicht (Rn. 14 und 18 der Gründe des Urteils vom 27. Mai 2010).

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.