Beschluss vom 05.05.2004 -
BVerwG 9 VR 5.04ECLI:DE:BVerwG:2004:050504B9VR5.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.05.2004 - 9 VR 5.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:050504B9VR5.04.0]

Beschluss

BVerwG 9 VR 5.04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Mai 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t ,
Prof. Dr. R u b e l und Dr. N o l t e
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2004 wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 € festgesetzt.

I


Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2004 für die Beseitigung des Bahnübergangs Grabow, Prislicher Straße und die Errichtung einer Eisenbahnüberführung (km 162,235). Er ist Eigentümer eines selbst genutzten Wohngrundstücks von insgesamt 741 m², das mit einer Teilfläche von 141 m² zur Schaffung einer neuen Anbindung an die geplante Straßenunterführung dauerhaft in Anspruch genommen werden soll. Mit seiner Klage rügt der Antragsteller, der Planfeststellungsbeschluss sei abwägungsfehlerhaft, weil der mit ihm verbundene erhebliche Eingriff in sein Eigentum, der eine wirtschaftlich vernünftige Nutzung der verbleibenden Grundstücksfläche ausschließe, durch die Wahl einer anderen - vom Vorhabenträger ursprünglich auch verfolgten - Trassenvariante vermieden werden könne.

II


Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 20 Abs. 5 Satz 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) und § 5 Abs. 2 Satz 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (VerkPBG) geregelten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Klage. Denn bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes ergibt sich, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben kann.
Eine - vom Antragsteller allein gerügte - Verletzung des materiellen Rechts, die eine Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses begründen könnte, lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen. Insbesondere weist es nicht auf Mängel bei der nach § 18 Abs. 1 AEG gebotenen Abwägung hin, die gemäß § 20 Abs. 7 AEG erheblich, also offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind und nicht durch eine schlichte Planergänzung behoben werden können.
Der Antragsteller hält den Planfeststellungsbeschluss im Wesentlichen deswegen für fehlerhaft, weil sich die Planfeststellungsbehörde bei fehlerfreier Abwägung nach seiner Meinung für eine Vorhabensvariante hätte entscheiden müssen, für deren Realisierung die Inanspruchnahme seines Grundeigentums nicht erforderlich sei. Dieser Ansicht vermag sich der Senat auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes nicht anzuschließen.
Die Planfeststellungsbehörde muss Alternativlösungen als Teil des Abwägungsmaterials mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Varianten jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einbeziehen. Die gewählte Lösung darf nicht auf einer Bewertung beruhen, die zur objektiven Gewichtigkeit der von den möglichen Alternativen betroffenen Belange außer Verhältnis steht (BVerwGE 81, 128 <137>; 101, 166 <173>). Diese Anforderungen sind erfüllt.
Die Antragsgegnerin hat zahlreiche Varianten der planfestgestellten Trasse einschließlich der vom Antragsteller favorisierten "Variante 1 a" (als einer der "Untervarianten" der "Hauptvariante" 2) geprüft und erwogen. Sie hat sich hiermit im Planfeststellungsbeschluss ausführlich auseinander gesetzt (S. 77 bis 79). Dasselbe gilt entgegen der Darstellung des Antragstellers auch für dessen private Belange. Die Antragsgegnerin hat die hohe Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Wohnnutzung durch die Familie des Einwenders erkannt und die vom Antragsteller angeführten besonderen Umstände des Grundstücks (geringe Größe, Abschirmwirkung und Außenbereichsfunktion des in Anspruch genommenen Grundstückteils, spürbare Verminderung der Wohnqualität durch Wegfall des Erholungswertes, Reduzierung der Gestaltungsmöglichkeiten und Erhöhung der Immissionsbelastung) in Rechnung gestellt. Das lässt Mängel bei der Ermittlung und Bewertung der Belange des Antragstellers nicht erkennen, zumal die Antragsgegnerin - zulässigerweise (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 4 CB 1.90 - NVwZ-RR 1991, 129 <137>) - zugunsten des Antragstellers unterstellt hat, dass eine wirtschaftlich vernünftige Nutzung des verbleibenden Grundstücks nicht mehr möglich sei.
Dass sich die Antragsgegnerin auf dieser Grundlage für die planfestgestellte Variante entschieden hat, ist im derzeitigen Verfahrensstand nicht zu beanstanden, weil sich - worauf es insoweit rechtlich allein ankommt - eine andere Lösung nicht eindeutig aufdrängt (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1992 - BVerwG 4 B 1 - 11/92 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89 m.w.N.). Hinsichtlich der Varianten 4 und 5 (rückwärtige Anbindung des Blievenstorfer Weges) ergibt sich dies daraus, dass diese Lösungen zwar das Grundstück des Antragstellers verschonen, jedoch bebaute Grundstücke Dritter mit insgesamt mehr als der doppelten Fläche des Grundstücks des Antragstellers beanspruchen, den Abriss wenigstens eines Gebäudes erforderlich machen und ähnlich hohe (Variante 4) oder deutlich höhere Kosten (Variante 5) verursachen. Auch der Antragsteller hat insoweit keine Einwände erhoben.
Die das Grundstück des Antragstellers nur in einem Umfang von 35 m² in Anspruch nehmende Variante 2 hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar unter Hinweis auf die starke Längsneigung des Blievenstorfer Weges im Einmündungsbereich L 08 abgelehnt, weil sich hierdurch von der zuständigen Straßenbaubehörde gerügte Sicherheitsprobleme ergeben. Auch dies stellt der Antragsteller nicht in Frage.
Die vom Antragsteller mit insoweit unwesentlichen Modifikationen bevorzugte Variante 1 a hat die Antragsgegnerin ebenso wie die gleichfalls keine Grundstücksfläche des Antragstellers beanspruchende Variante 1 b wegen der hierfür erforderlichen Lichtsignalregelung abgelehnt. Die Antragsgegnerin ist dabei nicht, wie der Antragsteller meint, von einem generellen Vorrang öffentlicher vor privaten Belangen ausgegangen, sondern hat im Einzelnen dargelegt, dass die mit einer Lichtsignalregelung verbundenen Sicherheitsprobleme auch unter Berücksichtigung der bei diesen Varianten vermeidbaren erheblichen Inanspruchnahme des Grundstücks des Antragstellers nicht hinnehmbar sind.
Dass der Vorhabenträger diese Sicherheitsprobleme in seiner ursprünglichen Planung zunächst nicht gesehen hat und erst aufgrund der Stellungnahme mehrerer Träger öffentlicher Belange eine Planänderung zugunsten der planfestgestellten Variante stattgefunden hat, lässt im Gegensatz zur Ansicht des Antragstellers keine Rückschlüsse auf inhaltliche Abwägungsmängel zu. Nicht in Abrede gestellt werden kann weiterhin das auch vom Antragsteller nicht grundsätzlich bestrittene Erfordernis, bei Wahl der Trassenvariante 1 a oder 1 b eine Lichtsignalregelung vorzusehen, um Begegnungsverkehr zu vermeiden. Wie Antragsgegnerin und Beigeladene nachvollziehbar anhand von Schleppkurvenprojektionen dargelegt haben, ist nicht nur ein Begegnungsverkehr Lastzug/Lastzug ausgeschlossen, sondern bereits ein Begegnungsverkehr Lastzug/Pkw gefahrlos nicht möglich und deswegen zu verhindern. Dass ein nicht zu vernachlässigender und deswegen eine Lichtsignalregelung jedenfalls bedingender Schwerlastverkehr auf dem Blievenstorfer Weg besteht und auch künftig zu erwarten ist, ergibt sich aus den Darlegungen des Wasser- und Schifffahrtsamtes und der Stadt Grabow im Anhörungsverfahren, die durch die Verkehrserhebungen vom April 2001 und Oktober 2002, denen entgegen der Behauptung des Antragstellers Zählungen und nicht lediglich Berechnungen zugrunde liegen, bestätigt werden.
Die Sicherheitsprobleme ergeben sich nach den wiederum nachvollziehbaren Darlegungen von Antragsgegnerin und Beigeladener bei der Variante 1 a daraus, dass die Kontaktschleifenlösung wegen der nicht erfassten Zwischenstrecke mit Grundstückszufahrten keinen vollständigen Schutz vor Begegnungsverkehr bietet und die zu erwartenden langen Rotphasen für den Verkehr zur L 08 zu verkehrswidrigem Verhalten verleiten, was Unfallgefahren hervorruft. Aus diesem Grund sind auch die beteiligten Fachbehörden der Variante 1 a nachdrücklich entgegengetreten. Dieser Einschätzung ist nicht mit dem Argument des Antragstellers zu begegnen, es müsse von normgerechtem Verhalten der Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden. Vielmehr ist es grundsätzlich geboten, bei der Neugestaltung von Verkehrsanlagen typische Gefahrensituationen von vornherein auszuschließen.
Dasselbe gilt für die Variante 1 b. Mit ihr könnte zwar Begegnungsverkehr weitgehend ausgeschlossen werden. Erhebliche Sicherheitsrisiken ergäben sich hier nach der auch vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogenen Darstellung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aber aus der hohen Straßenlängsneigung im Ampelaufstellbereich, der seinerseits innerhalb der Straßenunterführung liegt und durch Brems- und Anfahrvorgänge die Sicherheit sowie Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs (besonders in den Wintermonaten) erheblich einschränkt. Auch insoweit kann der Planfeststellungsbehörde jedenfalls nicht abverlangt werden, entgegen dem ausdrücklichen und begründeten Votum der Fachbehörden zur Vermeidung der wenn auch andernfalls nicht abzuwendenden erheblichen Beeinträchtigung des Antragstellers eine nicht den geforderten Ausbaustandards entsprechende Variante zu wählen und dauerhaft erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer in Kauf zu nehmen.
Die nicht weiter substantiierte Behauptung des Antragstellers, die planfestgestellte Variante entspreche ihrerseits nicht den Straßenbaurichtlinien, der Antragsgegnerin und Beigeladene entgegengetreten sind, gibt dem Senat jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Dasselbe gilt für die von Antragsgegnerin und Beigeladener zurückgewiesene und den planerischen Darstellungen widersprechende Behauptung des Antragstellers, dass eine Zufahrt auf sein Grundstück zukünftig nicht mehr möglich sein werde. Dem (unterstellten) Umstand, dass eine wirtschaftlich vernünftige Nutzung des verbleibenden Grundstücks nicht mehr möglich sei, konnte die Antragsgegnerin im Planfeststellungsbeschluss durch Hinweis auf ein späteres Enteignungsverfahren hinreichend Rechnung tragen (§ 22 Abs. 4 AEG, § 3 Abs. 4 Enteignungsgesetz MV i.V.m. § 92 Abs. 3 BauGB; vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1993 - BVerwG 4 A 2.93 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 24; Urteil vom 14. Mai 1992 - BVerwG 4 C 9.89 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 88 S. 80 ff.; Urteil vom 27. März 1980 - BVerwG 4 C 34.79 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 34 S. 113 f.). Soweit der Antragsteller gegen die planfestgestellte Variante einwendet, es seien zusätzliche, möglicherweise auch aktive Lärmschutzmaßnahmen sowie Leitschutzplanken zum Schutz der Anwohner und Besucher des Grundstücks erforderlich, könnte dies wegen der Möglichkeit von Schutzauflagen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nur dann zu einem Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen, wenn ein solcher Mangel für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht wäre, dass dadurch die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines abtrennbaren Planungsteils überhaupt in Frage gestellt wäre (vgl. BVerwGE 56, 110 <133>; 71, 150 <160>). Hierfür ist nichts dargetan oder ersichtlich. Deswegen kommt lediglich ein Anspruch auf schlichte Planergänzung in Betracht, der die hier begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht begründen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.