Beschluss vom 05.01.2006 -
BVerwG 10 B 85.05ECLI:DE:BVerwG:2006:050106B10B85.05.0

Beschluss

BVerwG 10 B 85.05

  • Sächsisches OVG - 08.09.2005 - AZ: OVG 1 B 558/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 137 730,58 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein für das angefochtene Urteil erheblicher Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision führen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

2 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe die §§ 86,108 VwGO verletzt, weil es auf eine Beweisaufnahme verzichtet habe, ob es sich bei dem von der Klägerin errichteten Einkaufszentrum um eine mehrgeschossige Verkaufsstelle mit geringen Einbauten handele, für die sie bei der streitigen Gebührenberechnung nach einer Tarifstelle im Sächsischen Kostenverzeichnis eine weitergehende Reduzierung der Rohbaukostensumme beanspruchen könne. Das Berufungsgericht habe diese Frage anhand der ihm vorliegenden Baupläne eigenständig beurteilt, obwohl dazu Spezialkenntnisse der Bauweise unterschiedlicher Bautypen erforderlich gewesen seien, über die dieses Gericht nicht verfügt habe. Eine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht kann diesem Vorbringen nicht entnommen werden.

3 Das Berufungsgericht hat den in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gestellten Antrag, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Einnahme eines Augenscheins Beweis darüber zu erheben, ob es sich bei dem Einkaufszentrum um eine mehrgeschossige Verkaufsstelle mit geringen Einbauten handelt, weil Trennwände ganz überwiegend in Leichtbauweise und nicht in Beton ausgeführt wurden, abgelehnt, weil es die Beweisfrage nicht als entscheidungserheblich angesehen hat. Für die Berechnung der Rohbaukosten komme es allein auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung an; ob zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich weniger rohbaumäßige Einbauten realisiert worden seien, sei für die Gebührenberechnung ohne Belang (UA S. 14). Auf Einwände gegen diese materiellrechtliche Position kann die Aufklärungsrüge nicht gestützt werden. Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, beurteilt sich nach dem materiellrechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz, selbst wenn dieser Standpunkt Bedenken unterliegen sollte (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1).

4 Die Beschwerde macht geltend, die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens habe sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen, weil im Regelfall die Bauausführung der Planung entspreche. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Klägerin das Objekt genehmigungswidrig ausgeführt habe. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Auslegung des Beweisantrages rügt, weil sie meint, dieser habe sich nicht nur auf die tatsächliche Ausführung, sondern ebenso auf die Planung bezogen, kann ihr nicht gefolgt werden. Der von einer anwaltlich vertretenen Partei gestellte Beweisantrag lässt Unklarheiten (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO) nicht erkennen. Er ist nach seinem objektiven Erklärungswert bei verständiger Würdigung allein darauf gerichtet gewesen, eine gerichtliche Überprüfung der Bauausführung herbeizuführen. Dies wird insbesondere dadurch belegt, dass als Beweismittel neben einem Sachverständigengutachten eine Augenscheinseinnahme angeboten worden ist. Soweit die Beschwerde zugleich die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts angreift, vermag sie damit keinen Verfahrensmangel darzulegen. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können deswegen einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 19). Eine Fallgestaltung, die eine abweichende Beurteilung zulassen würde (vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209>), wird von der Beschwerde mit ihrem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Bauausführung und Planung nicht dargelegt. Insbesondere widerspricht es nicht Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, wenn das Berufungsgericht in der Bauausführung keine sich aufdrängende Erkenntnisquelle für den Regelungsgehalt der in Rede stehenden Baugenehmigung gesehen hat.

5 Entgegen der Auffassung der Beschwerde musste sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Berufungsgericht auch nicht deswegen aufdrängen, weil es nicht über die hier erforderliche Sachkunde verfügte (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. August 1995 - BVerwG 3 B 5.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 270 S. 16). Das Berufungsgericht vertritt in Auslegung der einschlägigen Tarifstelle im Sächsischen Kostenverzeichnis den materiellrechtlichen Standpunkt, es müsse sich um gemauerte oder betonierte Einbauten handeln; ohne Belang seien dagegen Einbauten, die lediglich im Verlaufe des Ausbaus - etwa in der Gestalt von Trockenbauwänden - eingezogen würden (UA S. 13). Anhand der ihm vorliegenden genehmigten Pläne hat es sodann das rohbaumäßige Vorhandensein relevanter Einbauten als nachvollziehbar und einsichtig angesehen (UA S. 14). Dieses Vorgehen kann nicht als verfahrensfehlerhaft gewertet werden.

6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Tatsachengericht grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Dieses Ermessen überschreitet das Gericht erst dann, wenn es sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zuschreibt und sich nicht mehr in den Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die den ihm angehörenden Richtern allgemein zugänglich sind (vgl. Urteil vom 10. November 1983 - BVerwG 3 C 56.82 - BVerwGE 68, 177 <182 f.>; Urteil vom 6. November 1986 - BVerwG 3 C 27.85 - BVerwGE 75, 119 <126 f.>). Die Auswertung von Unterlagen, die Gegenstand einer Baugenehmigung geworden sind, zählt für Verwaltungsrichter im Allgemeinen nicht zu den Fällen, die schwierig gelagert sind oder Spezialkenntnisse erfordern. Wenn die Beschwerde meint, vorliegend erfordere der in diesem Zusammenhang anzustellende Vergleich zwischen Einkaufszentren und "klassischen Kaufhäusern" Spezialkenntnisse der Bauweise, übersieht sie dabei, dass das Berufungsgericht diese Frage durch seine Festlegung auf gemauerte oder betonierte Einbauten ausschließlich rechtlich entschieden hat. Die danach verbleibende Sachverhaltswürdigung, ob die genehmigten Baupläne gemauerte oder betonierte Einbauten zuließen, kann nicht als derart schwierig angesehen werden, dass sie von Verwaltungsrichtern nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beantwortet werden durfte.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht im Anschluss an die Bestimmung des Streitwerts durch das Berufungsgericht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG. Die Beschwerdebegründung (S. 7 des Schriftsatzes vom 12. Dezember 2005) lässt zwar erkennen, dass die Klägerin sich möglicherweise mit einer Teilaufhebung des angefochtenen Urteils begnügt hätte. In den Anträgen, die mit der Beschwerde verfolgt worden sind, hat eine entsprechende Beschränkung aber keinen Ausdruck gefunden.