Beschluss vom 04.10.2006 -
BVerwG 4 BN 27.06ECLI:DE:BVerwG:2006:041006B4BN27.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.10.2006 - 4 BN 27.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:041006B4BN27.06.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 27.06

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 19.06.2006 - AZ: OVG 7 D 72/05.NE

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Antragsgegnerin beimisst.

3 Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob der Gemeinde bei der Anwendung des § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB ein „Einschätzungsspielraum“ zusteht. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausgleich für Eingriffe in Natur und Landschaft, die auf der Grundlage von Bauleitplänen zu erwarten sind, nicht erforderlich, wenn die Eingriffe (im Sinne der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung) bereits vor der planerischen Entscheidung erfolgt sind oder - etwa gemäß § 34 Abs. 1 BauGB - zulässig waren. Flächen, die von dieser Regelung erfasst werden, stellen keine Eingriffsflächen dar.

4 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Antragsgegnerin im angegriffenen Bebauungsplan Teilbereiche mehrerer im westlichen Plangebiet liegender Flurstücke, die nach ihrer Auffassung innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen, als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen und die Teilbereiche, auf denen sie überbaubare Flächen durch Baugrenzen („Baufenster“) festgesetzt hat, den Eingriffsflächen zugeordnet hat. Das Normenkontrollgericht kommt zu dem Ergebnis, dass diese Teilbereiche nicht als Eingriffsgebiet anzusehen seien, weil sich dort eine Bebauung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung eingefügt hätte. Die hierzu von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig. Sie ist auf der Grundlage des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB entwickelten Grundsätzen zu beantworten (vgl. zusammenfassend etwa Beschluss vom 18. Juni 1997 - BVerwG 4 B 238.96 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 186 = ZfBR 1997, 324). Die zu § 34 Abs. 1 BauGB entwickelten Grundsätze schließen die bewertende Beurteilung einer Vielzahl tatsächlicher örtlicher Gegebenheiten ein. Die Zuordnung eines Grundstücks zum bebaubaren Innenbereich und die Zulässigkeit seiner Bebauung können daher im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Bauaufsichtsbehörden hat das Bundesverwaltungsgericht gleichwohl im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB nicht anerkannt.

5 Für die planende Gemeinde kann im Rahmen des § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB nichts anderes gelten. Die Frage, ob eine Bebauung bereits vor der planerischen Entscheidung nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig war, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die Anerkennung eines kommunalen „Einschätzungsspielraumes“ verbietet sich auch in Hinblick auf die mit der Zuordnung zum Eingriffsgebiet verbundenen Rechtsfolgen. Nur den Grundstücken, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, können nach § 9 Abs. 1a Satz 2 BauGB Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich (§ 1a Abs. 3 Satz 1 und 2 BauGB) an anderer Stelle zugeordnet werden. Nur Eigentümer von Grundstücken, die zu den Eingriffsflächen zählen, können nach den §§ 135a ff. BauGB zur Finanzierung von Ausgleichsmaßnahmen herangezogen werden.

6 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Eine die Revision eröffnende Abweichung läge nur vor, wenn das Normenkontrollgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr).

7 2.1 Die Beschwerde sieht darin, dass das Normenkontrollgericht den Bebauungsplan allein aus einem Grund für unwirksam erklärt hat, den die Antragstellerin selbst nicht geltend gemacht hat, eine Abweichung von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2002 - BVerwG 7 B 11.02 - (Buchholz 406.25 § 31 BImSchG Nr. 2) und vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 - (BVerwGE 116, 188 <196 f.>), in denen die „Mahnung“ ausgesprochen wird, die Tatsachengerichte sollten sich nicht „gleichsam ungefragt“ auf Fehlersuche begeben. Die Rüge greift schon deshalb nicht durch, weil diese „Mahnung“ keinen Rechtssatz darstellt, sondern eine Maxime richterlichen Handelns umschreibt, die die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht in Frage stellt (vgl. Urteil vom 17. April 2002 a.a.O. S. 197).

8 Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass das Verfahren der Normenkontrolle nach § 47 VwGO nicht nur dem subjektiven Rechtsschutz dient, sondern zugleich ein Verfahren der objektiven Rechtskontrolle darstellt (Beschluss vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225). Bei der Prüfung eines Bebauungsplans ist das Normenkontrollgericht daher nicht auf die Überprüfung der von der Antragstellerin geltend gemachten Mängel beschränkt. Es kann die Satzung auch aus Gründen für nichtig erklären, welche die privaten Belange der Antragstellerin nicht berühren oder nicht von ihr als Satzungsmangel geltend gemacht worden sind (Beschluss vom 6. Dezember 2000 - BVerwG 4 BN 59.00 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 144, S. 50). Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin ist zwar eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Aus der Rechtsprechung des beschließenden Senats ergibt sich jedoch ohne weiteres, dass ein Normenkontrollgericht - auf einen zulässigen Antrag - nicht aus Rechtsgründen darauf beschränkt ist, die Norm nur daraufhin zu überprüfen, ob sie die von der Antragstellerin geltend gemachten subjektiven Rechte verletzt. Zu einer weitergehenden Klärung gäbe der vorliegende Fall dem Senat in einem Revisionsverfahren keinen Anlass.

9 2.2 Die Beschwerde rügt, das Normenkontrollgericht habe Teilbereiche der näher bezeichneten Flurstücke allein deshalb als bebaubar angesehen, weil diese Flächen von Bebauung umgeben seien. Die Beschwerde sieht darin eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 1972 - BVerwG 4 C 6.71 - (BVerwGE 41, 227), nach der ein Grundstück nicht schon deshalb unter § 34 BBauG falle, weil es von einer zusammenhängenden Bebauung umgeben sei, das Grundstück müsse vielmehr selbst einen Bestandteil des Bebauungszusammenhanges bilden. Auf dieses weitere Erfordernis habe das Normenkontrollgericht verzichtet. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.

10 Der beschließende Senat hat in seinem Urteil vom 1. Dezember 1972 (a.a.O. S. 233) ausgeführt, dass ein bebauungsfähiges Grundstück einem Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BBauG angehöre, wenn es sich um eine Baulücke im engeren Sinne des Wortes, d.h. um ein zwar unbebautes, aber doch deshalb bebauungsfähiges Grundstück handele, weil es trotz der ihm fehlenden Bebauung gemeinsam mit den es umgebenden Grundstücken jenen Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittele, den § 34 BBauG voraussetze. In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat das Normenkontrollgericht auf der Grundlage der örtlichen Verhältnisse festgestellt, dass Teilbereiche der vorbezeichneten Flurstücke von der sie umgebenden Bebauung „in die Zange genommen“ würden und deshalb Baulücken darstellten. Diese Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz lässt erkennen, dass es die Teilbereiche der vorbezeichneten Flurstücke als Bestandteile eines Bebauungszusammenhanges im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB angesehen hat.

11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.