Verfahrensinformation

Gegenstand dieser sozialhilferechtlichen Streitsache ist die Frage, ob der beklagte Sozialhilfeträger verpflichtet ist, im Rahmen der unstreitig erforderlichen Hilfe zur Pflege das Entgelt zu übernehmen, das der Betreuer einer Hilfebedürftigen mit dem Einrichtungsträger im Rahmen des Heimvertrags privatrechtlich vereinbart hatte, oder ob die Kosten für Unterbringung und Pflege nur in der Höhe zu übernehmen sind, wie sie zwischen dem Einrichtungsträger und dem zuständigen überörtlichen Träger vereinbart bzw. durch Entscheidung der Schiedsstelle festgesetzt sind.


Urteil vom 04.08.2006 -
BVerwG 5 C 13.05ECLI:DE:BVerwG:2006:040806U5C13.05.0

Leitsatz:

Solange gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999 eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich möglich ist, liegt auch im Verhältnis zu anderen, ortsfremden Sozialhilfeträgern ein „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 nicht vor.

  • Rechtsquellen
    BSHG F. 1994 § 93
    BSHG F. 1999 §§ 93, 93a, 93b
    SGB VIII § 78e Abs. 1
    SGB XI § 72 Abs. 2

  • VGH München - 23.03.2005 - AZ: VGH 12 B 01.1916 -
    Bayerischer VGH München - 23.03.2005 - AZ: VGH 12 B 01.1916

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 04.08.2006 - 5 C 13.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:040806U5C13.05.0]

Urteil

BVerwG 5 C 13.05

  • VGH München - 23.03.2005 - AZ: VGH 12 B 01.1916 -
  • Bayerischer VGH München - 23.03.2005 - AZ: VGH 12 B 01.1916

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
am 4. August 2006 für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin, die in ihrem in Niedersachsen gelegenen Pflegeheim die psychisch kranke und hilfebedürftige Frau S. K. bis zu deren Tod versorgt und gepflegt hat, gegen den Beklagten, einen bayerischen Bezirk, derzeit ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege durch Übernahme der zwischen Frau S. K. als Heimbewohnerin und der Klägerin als Heimträgerin vereinbarten Heimentgeltes über die bisher geleisteten Abschlagszahlungen hinaus zusteht.

2 Frau S. K. wurde ab dem 22. Dezember 1986 bis zu ihrem Tod am 4. Dezember 2001 in dem zunächst von einem anderen Träger und dann von der Klägerin getragenen Pflegeheim versorgt und betreut. Nachdem der Einrichtungsträger dem Beklagten den Pflegesatz bekannt gegeben und mitgeteilt hatte, dass mit Sozialhilfeträgern in und außerhalb Niedersachsens abgerechnet werde, gewährte der Beklagte Frau S. K. mit Bescheid vom 11. August 1987 Hilfe zur Pflege durch Übernahme der Unterbringungskosten und sandte einen Abdruck des Bescheides als Kostenübernahmeerklärung an den Einrichtungsträger. Mit Schreiben vom 4. Dezember 1995 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die mit dem Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben getroffenen Regelungen übernommen würden und weitere Vertragsgrundlagen mit der Klägerin nicht bestünden.

3 Bis einschließlich 1994 übernahm der Beklagte die Kosten der Unterbringung der Frau S. K. auf der Grundlage der zwischen dem Einrichtungsträger und dem Land Niedersachsen vereinbarten Pflegesätze. Seit dem 1. Januar 1994 sind zwischen dem Land Niedersachsen und der Klägerin zwar Vereinbarungsverhandlungen aufgenommen und durchgeführt worden, aber keine Vereinbarungen über Entgelte bzw. Vergütungen zum Abschluss gekommen. Beantragte Schiedsstellenentscheidungen in Bezug auf Entgelte und Vergütungen sind entweder nicht getroffen oder zwar getroffen, aber nicht bestandskräftig geworden. Ab 1995 hat der Beklagte für die Kosten der Unterbringung der Frau S. K. Abschlagszahlungen in Höhe der Abschläge erbracht, die der niedersächsische Sozialhilfeträger auf der Grundlage vorläufig festgesetzter Pflegesätze für seine im Pflegeheim der Klägerin untergebrachten Hilfeempfänger gezahlt hat.

4 Im März 2000 hat Frau S. K. Klage erhoben mit dem Antrag, ihr Sozialhilfe durch Übernahme des vollen von ihr mit dem Heimträger vereinbarten Heimentgeltes von pflegesatztäglich 253,64 DM für das Jahr 1995, 263,61 DM für die Jahre 1996 bis einschließlich 1999 und 255,74 DM für das Jahr 2000 abzüglich geleisteter Abschlagszahlungen zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2001 abgewiesen. Die Berufung, die die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Frau S. K. in Bezug auf den Anspruch auf Hilfe zur Pflege (§ 28 Abs. 2 BSHG) fortgeführt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 23. März 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

5 § 93 Abs. 2 BSHG verlange nicht, dass zwischen dem in Anspruch genommenen Sozialhilfeträger und dem Einrichtungsträger eine Pflegesatzvereinbarung abgeschlossen sei. Ausreichend sei vielmehr, dass derartige Vereinbarungen zwischen dem Einrichtungsträger und dem für die Einrichtung örtlich zuständigen Sozialhilfeträger zustande gekommen seien. Weitergehende Ansprüche der Klägerin vermöge auch die Kostenübernahmeerklärung des Beklagten nicht zu begründen. Ein Rechtsbindungswille des Sozialhilfeträgers für eine eigenständige Zahlungsverpflichtung gegenüber der Einrichtung könne der Kostenübernahmeerklärung nicht entnommen werden, weil der Beklagte gegenüber der jetzigen Klägerin ausdrücklich klargestellt habe, dass er sich an den Regelungen des Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben orientiere und weitere Vertragsgrundlagen zwischen ihm und der Klägerin nicht bestünden. Als Rechtsnachfolgerin der Frau S. K. in Bezug auf den Anspruch auf Hilfe zur Pflege könne die Klägerin nicht die Übernahme der im Heimvertrag festgelegten Vergütung verlangen. Der Anspruch der Klägerin sei vielmehr auf die durch die Schiedsstelle festgesetzte Vergütung bzw. auf die vorläufig vereinbarten Abschlagspflegesätze beschränkt. Zwar habe es die Schiedsstelle abgelehnt, für 1999 und die Folgejahre Vergütungen festzusetzen, weil zwischen der Klägerin und dem überörtlichen Sozialhilfeträger keine Leistungsvereinbarung zustande gekommen sei und die Schiedsstelle nach § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1999 nur noch in Bezug auf die Vergütung, nicht aber im Bereich der Leistungs- oder Prüfungsvereinbarung entscheiden könne. Ungeachtet der Beschränkung der Entscheidungskompetenz wirke die von der Schiedsstelle für das Jahr 1998 festgesetzte Vergütung aber auch für die Folgejahre. Da die Schiedsstelle am 13. Oktober 1998 das Entgelt für 1998 wirksam festgesetzt habe, wirke diese Festsetzung nach § 93b Abs. 2 Satz 4 BSHG F. 1999 bis zum Inkrafttreten neuer Vergütungen weiter. Diese Bindungswirkung ende, abgesehen von der Vereinbarung neuer Vergütungen, erst dann, wenn die Klägerin oder der zuständige Sozialhilfeträger endgültig erklärten, keinen Vertragsabschluss mehr anzustreben. Sobald dies feststehe, sei der Fortführung früher vereinbarter oder festgesetzter Vergütungen die Grundlage entzogen. Da aber die Klägerin die ablehnenden Entscheidungen der Schiedsstelle für 1999 und die Folgejahre bekämpfe und weiterhin auf den Abschluss entsprechender Vereinbarungen dringe, sei von der Weitergeltung der für 1998 festgesetzten Vergütung auszugehen mit der Folge, dass die Klägerin vom Beklagten nach § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999 lediglich die Zahlung der festgesetzten Vergütung verlangen könne. Im Übrigen stehe der Klägerin auch dann kein Anspruch auf die mit Frau S. K. vereinbarten Heimentgelte zu, wenn die Festsetzungen der Schiedsstelle für die Jahre 1999 bis 2001 nicht berücksichtigt werden könnten. Die Klägerin habe mit dem zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger vom 1. April 2000 an vorläufige Abschlagspflegesätze vereinbart. Dass diese Vereinbarungen nur aufgrund einer gerichtlichen einstweiligen Anordnung geschlossen worden seien und eine Einigung über die endgültige Höhe der Vergütung noch ausstehe, ändere nichts daran, dass zwischen der Klägerin und dem zuständigen Sozialhilfeträger Vergütungsvereinbarungen bestünden, die die Anwendung von § 93 Abs. 3 BSHG F. 1999 ausschlössen. § 93 Abs. 3 Satz 3 BSHG F. 1999 begrenze die Übernahme von Vergütungen bei Einrichtungen, mit denen keine Vereinbarung geschlossen sei, auf den Betrag, den der Sozialhilfeträger für vergleichbare Leistungen von vertragsgebundenen Einrichtungsträgern zu erbringen habe. Orientiere sich die zu übernehmende Vergütung aber an vergleichbaren Pflegesätzen mit vertragsgebundenen Einrichtungen, so liege es nahe, Vereinbarungen zwischen dem Einrichtungsträger und dem Sozialhilfeträger selbst dann den Vorrang einzuräumen, wenn die Vertragsparteien sich zunächst nur auf eine vorläufige Abschlagszahlung geeinigt hätten. Diese Auslegung werde bestätigt durch § 93b Abs. 2 Satz 4 BSHG F. 1999, der die Fortgeltung vereinbarter Vergütung unabhängig davon anordne, ob die Vereinbarungen über die Vergütung endgültigen oder vorläufigen Charakter hätten.

6 Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren auf Leistungen des Beklagten für die Unterbringung der Frau S. K. bis zu deren Tod am 4. Dezember 2001 über die bisher geleisteten Abschläge hinaus weiter. Sie rügt Fehler bei der Auslegung der Erklärung des Beklagten vom 11. August 1987 und die Verletzung der §§ 93 und 93b BSHG.

7 Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II

8 Die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist zurückzuweisen; sie ist unbegründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis richtig.

9 1. Als unstreitig davon ausgehend, dass Frau S. K. der Hilfe zur Pflege bedurfte, dass die Klägerin ihr bis zu deren Tod Hilfe i.S.d. § 28 Abs. 2 BSHG erbracht hat und dass deshalb Sozialhilfeansprüche, soweit sie gegenüber Frau S. K. unerfüllt geblieben sein sollten, nach § 28 Abs. 2 BSHG nunmehr der Klägerin zustünden, hat das Berufungsgericht zu Recht entschieden, dass der Beklagte - derzeit - nicht verpflichtet ist, für die streitgegenständliche Zeit vom 1. Januar 1995 bis einschließlich 4. Dezember 2001 als Aufwendungen für die der Frau S. K. im Pflegeheim der Klägerin geleistete Hilfe Entgelte bis zu der zwischen Frau S. K. und der Klägerin im Rahmen des Heimvertrages privatrechtlich vereinbarten Höhe zu übernehmen.

10 1.1 Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994, der bis zum 31. Dezember 1998 galt, ist der Träger der Sozialhilfe zur Übernahme von Aufwendungen für die Hilfe in einer Einrichtung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie über die dafür zu entrichtenden Entgelte besteht; in anderen Fällen soll er die Aufwendungen übernehmen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist.

11 Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999, der ab 1. Januar 1999 gilt, ist der Träger der Sozialleistung, wenn die Leistung von einer Einrichtung erbracht wird, zur Übernahme der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über
1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung),
2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und
3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung)
besteht. Nach § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG kann der Träger der Sozialhilfe dann, wenn eine der in Absatz 2 genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen ist, Hilfe durch diese Einrichtung nur gewähren, wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten ist.

12 § 93 Abs. 3 Satz 2 BSHG F. 1994 bestimmte, dass dann, wenn eine Vereinbarung innerhalb von sechs Wochen nicht zustande kommt, nachdem eine Partei schriftlich zu Verhandlungen aufgefordert hat, die Schiedsstelle nach § 94 auf Antrag einer Partei unverzüglich über die Gegenstände entscheidet, über die keine Einigung erreicht werden konnte. Gleiches bestimmt § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1999 allerdings nur für eine Vereinbarung nach § 93a Abs. 2 BSHG F. 1999, also beschränkt auf die Vergütungsvereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG F. 1999.

13 Bereits aus § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 und § 93 Abs. 2 und 3 BSHG F. 1999 ergibt sich, dass Sozialhilfe in Einrichtungen vom Sozialhilfeträger grundsätzlich nur auf der Grundlage von Vereinbarungen mit dem Träger der Einrichtung (oder seinem Verband) über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie über die dafür zu entrichtenden Entgelte (§ 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994) bzw. auf der Grundlage von Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen mit dem Träger der Einrichtung (§ 93b Abs. 2 und 3 BSHG F. 1999) geleistet werden soll. Dieser Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen wird verstärkt durch die gesetzlichen Regelungen in § 93 Abs. 3 Satz 2 BSHG F. 1994 und § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG F. 1999, wonach die Schiedsstelle auf Antrag entscheidet, wenn innerhalb von sechs Wochen keine Vereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 2 BSHG F. 1994 bzw. § 93a Abs. 2 BSHG F. 1999 zustande gekommen ist. Durch die Entscheidung der Schiedsstelle wird das Vereinbarungssystem nicht verlassen, sondern dahin modifiziert, dass an die Stelle einer an sich gewünschten, aber nicht erreichten vereinbarten Vergütung die durch die Schiedsstelle festgesetzte Vergütung tritt. Auch nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums besteht das Vertragssystem fort, indem zunächst, d.h. bis zum Inkrafttreten neuer Vergütungen, die vereinbarten oder festgesetzten Vergütungen weitergelten (§ 93 Abs. 4 Satz 4 BSHG F. 1994 und § 93b Abs. 2 Satz 4 BSHG F. 1999).

14 Dieser vom Gesetzgeber gewollte und, wie gezeigt, im Gesetz festgeschriebene Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen einschließlich ggf. erforderlicher Schiedsstellenentscheidungen findet darin Ausdruck, dass in sog. „anderen Fällen“ (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994), d.h. wenn Vereinbarungen nicht abgeschlossen sind (§ 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999), der Sozialhilfeträger Aufwendungen für die Hilfe in einer solchen Einrichtung nur übernehmen soll (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994) bzw. Hilfe durch eine solche Einrichtung nur gewähren kann (§ 93 Abs. 3 BSHG F. 1999), wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten ist.

15 Aus § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 und § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 folgt nicht nur, dass das Gesetz den Fall der Sozialhilfegewährung in einer Einrichtung, mit der i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 und § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 keine Vereinbarung abgeschlossen ist, als Ausnahme versteht, sondern auch dass ein sog. „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 und ein Nichtabschluss einer Vereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 vorbehaltlich der Folgen einer Vereinbarungskündigung (§ 93c BSHG F. 1999) nur gegeben sind, wenn in Bezug auf eine Einrichtung entweder der Abschluss einer Vereinbarung von vornherein gar nicht angestrebt war oder eine Vereinbarung - sei es in direkten Verhandlungen, sei es mit Hilfe einer Schiedsstellenentscheidung - endgültig nicht mehr zustande kommen kann. Der Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen kommt nur dann effektiv zur Geltung, wenn er für die gesamte Zeit gilt, in der eine angestrebte Vereinbarung, ggf. in der Modifikation durch eine Schiedsstellenfestsetzung, wirksam werden kann. Damit tritt bereits vor dem Abschluss einer Vereinbarung mit dem Antrag auf Abschluss einer Vereinbarung eine Sperrwirkung für eine Sozialhilfegewährung ohne Bezug zu einer Vereinbarung (sog. „anderer Fall“ i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994) ein; die Sperrwirkung dauert an, solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende der Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist.

16 1.2 Die Bemühungen des Einrichtungsträgers und des für den Sitz der Einrichtung örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers um den Abschluss von Vereinbarungen wirken hier auch in Bezug auf den Beklagten. Im Bundessozialhilfegesetz ist zwar anders als in anderen Gesetzen (z.B. § 78e Abs. 1 SGB VIII, § 72 Abs. 2 SGB XI) nicht ausdrücklich bestimmt, welcher Leistungsträger für den Abschluss der Vereinbarungen zuständig ist. Das ist bislang auch im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht der Fall. Nach einem Referentenentwurf (Stand 25. Juli 2006) für ein Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ist allerdings vorgesehen, in § 77 Abs. 1 SGB XII nach Satz 1 folgenden Satz 2 anzufügen: „Vertragspartei der Vereinbarungen sind die Träger der Einrichtung und der für den Sitz der Einrichtung zuständige Träger der Sozialhilfe; die Vereinbarungen sind für alle übrigen Träger der Sozialhilfe bindend.“

17 Auch wenn das Bundessozialhilfegesetz die Zuständigkeit für den Abschluss von Vereinbarungen nicht ausdrücklich geregelt hat, lässt sich aber doch durch Auslegung ermitteln, welcher Sozialhilfeträger zum Abschluss zuständig ist. Gegen eine Abschlusszuständigkeit eines jeden Sozialhilfeträgers, der Plätze in einer Einrichtung mit Hilfeempfängern belegt, für deren Hilfe er zuständig ist, spricht zunächst der praktische Gesichtspunkt, dass dann eine Vielzahl von Vereinbarungen geschlossen werden müssten mit der weiteren Folge, dass sich entsprechend viele Schiedsstellenverfahren anschließen könnten.

18 Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zu den Vereinbarungen in §§ 93 ff. BSHG und insbesondere der bereits ausgeführte Vorrang der Sozialhilfegewährung auf der Grundlage von Vereinbarungen sprechen für die Abschlusszuständigkeit des Sozialhilfeträgers, in dessen Bereich die Einrichtung gelegen ist (vgl. § 78e SGB VIII) bzw. ihren Sitz hat (vgl. Art. 1 Nr. 10 des genannten Referentenentwurfs). Dieser Sozialhilfeträger ist mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut und damit am Besten in der Lage, sachgerechte Vereinbarungen abzuschließen. Zudem gewährleistet die Zuständigkeit eines Trägers, dass in Bezug auf ein und dieselbe Einrichtung nicht unterschiedliche, sondern einheitliche Standards zu Leistung, Vergütung und Prüfung (§ 93 Abs. 2 BSHG F. 1999) vereinbart bzw. ggf. durch die Schiedsstelle festgesetzt werden. Dass die Zuständigkeit zum Abschluss von Vereinbarungen, die als Grundlage für Sozialleistungen dienen, auf den Sozialleistungsträger konzentriert ist, in dessen Bereich die Einrichtung gelegen ist, ist dem Sozialgesetzbuch, als dessen Teil das Bundessozialhilfegesetz gegolten hat (Art. II § 1 Nr. 15 SGB), nicht fremd (vgl. § 78e SGB VIII).

19 Diese Alleinzuständigkeit des niedersächsischen Sozialhilfeträgers, in dessen Bereich das Pflegeheim gelegen ist, in dem Frau S. K. gelebt hat, hat auch für den beklagten bayerischen Sozialhilfeträger Konsequenzen. Er selbst kann mit der Klägerin keine Vereinbarung i.S.v. § 93 Abs. 2 BSHG F. 1994 und § 93 Abs. 2 BSHG F. 1999 abschließen. Soweit vom zuständigen niedersächsischen Träger Vereinbarungen mit der Klägerin abgeschlossen worden wären - das ist unstreitig seit 1994 bislang nicht geschehen - wären sie für den Beklagten bindend (vgl. für eine solche Bindungsvereinbarung gegenüber Dritten § 78e Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sowie - insoweit klarstellend - Art. 1 Nr. 10 des genannten Referentenentwurfs). Aus dieser Alleinzuständigkeit des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben zum Abschluss von Vereinbarungen mit der Klägerin folgt mithin, dass als Folge der bisher nicht abgeschlossenen Vereinbarungen für die hier streitgegenständliche Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 4. Dezember 2001 auch für den Beklagten eine Sperrwirkung für eine Sozialhilfegewährung ohne Bezug zu einer Vereinbarung (sog. „anderer Fall“ i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994) eingetreten ist und andauert, solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Das ist im Streitfall noch der Fall. Zwar haben sich bisher weder das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben und die Klägerin vertraglich geeinigt noch sind Schiedsstellenfestsetzungen bestandskräftig geworden, doch haben sich weder das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben noch die Klägerin dahin erklärt, endgültig vom Abschluss einer Vereinbarung abzusehen.

20 Allerdings ist der Anspruch der Klägerin auf endgültig höhere Sozialhilfeleistungen für die Heimunterbringung von Frau S. K. nicht, wie die Vorinstanzen meinen, deshalb - derzeit - unbegründet, weil für die streitgegenständliche Zeit vorläufige Entgelte bzw. Vergütungen sei es aufgrund von Schiedsstellenentscheidungen oder von gerichtlichen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz festgesetzt oder als vorläufig vereinbart worden sind. Denn damit kann nur Vorläufiges geregelt werden. Solche vorläufigen Regelungen stehen unter dem Vorbehalt einer endgültigen Hauptsacheentscheidung im Schiedsstellenverfahren.

21 Der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin ist nicht auf vorläufige Leistungen gerichtet. Zwischen den Parteien unstreitig hat die Klägerin vom Beklagten Abschlagszahlungen in dem Umfang erhalten, wie sie das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben erbracht hat.

22 Vergütung in endgültiger Höhe, wie sie die Klägerin beansprucht, kann sie nach derzeitigem Sachstand nicht verlangen. Solange für die streitgegenständliche Zeit die angestrebten Vereinbarungen nicht endgültig abgeschlossen sind oder Schiedsstellenentscheidungen nicht bestandskräftig geworden sind, aber solche Vereinbarungen bzw. Schiedsstellenentscheidungen noch rechtlich und tatsächlich möglich sind, stehen Vergütungen in endgültiger Höhe nicht fest. Der Beklagte hat erklärt, dass er nach rechtskräftigem Abschluss der Schiedsstellenverfahren die endgültig festgesetzten Entgelte bzw. Vergütungen übernehmen werde, soweit sie nicht bereits von den geleisteten Zahlungen abgedeckt seien.

23 2. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht entschieden, dass der Klägerin kein originär eigener Anspruch gegen den Beklagten auf die begehrte Übernahme von Heimkosten zusteht. Zwar hat der Beklagte Frau S. K. mit Schreiben vom 11. August 1987 nach § 68 Abs. 1 i.V.m. § 100 BSHG Hilfe zur Pflege durch Übernahme der Unterbringungskosten in dem von ihr bewohnten Pflegeheim gewährt und einen Abdruck dieses Schreibens als Kostenübernahmeerklärung an die Verwaltung des Heims gesandt.

24 Aber zum einen reicht eine solche Kostenübernahmeerklärung für sich nicht aus anzunehmen, der Sozialhilfeträger wolle eine eigene materiellrechtliche Leistungspflicht gegenüber dem Heimträger begründen (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 - BVerwG 5 C 33.91 - BVerwGE 96, 71 <77> zur Kostenübernahmeerklärung gegenüber Vermieter). Vielmehr besteht aus der Sicht des Sozialhilfeträgers kein Anlass, eine zusätzliche Leistungsverpflichtung einzugehen, und wird den Interessen des Heimträgers einerseits und des Sozialhilfeträgers andererseits im Regelfall auch eine Auslegung gerecht, die den Inhalt der Übernahmeerklärung darin erblickt, dass der Sozialhilfeträger den Heimträger über das gegenwärtige Bestehen eines die Heimkosten erfassenden Hilfeanspruchs des Heimbewohners unterrichtet und zugleich eine bestimmte verwaltungstechnische Abwicklung des Zahlungsverkehrs, nämlich direkt an den Heimträger, bekannt gibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 a.a.O.). Für diese Auslegung spricht im Streitfall das Begleitschreiben des Beklagten an den Heimträger (Beiakte VI Seite 643; das Berufungsgericht hat auf die Akten Bezug genommen), das sich mit Details der Zahlungsabwicklung befasst. Besondere Umstände, die die Annahme zu rechtfertigen vermöchten, es habe eine materiellrechtliche Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Heimträger begründet werden sollen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 a.a.O.: notwendig ist vor allem, dass der Sozialhilfeträger seinen Rechtsbindungswillen unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat), sind weder festgestellt noch von der Klägerin vorgetragen.

25 Zum anderen begründet eine Kostenübernahmeerklärung für den Fall, dass sie vom rechtlichen Bindungswillen des Sozialhilfeträgers getragen wird, dessen Selbstverpflichtung dem Erklärungsadressaten gegenüber nur in akzessorischer Abhängigkeit von Bestand und Umfang des Sozialhilfeanspruchs des Hilfesuchenden. Denn die Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers steht von vornherein unter dem Vorbehalt, dass ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Hilfebedarf besteht (Urteil vom 19. Mai 1994 a.a.O. S. 75).

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.