Beschluss vom 04.08.2006 -
BVerwG 2 B 12.06ECLI:DE:BVerwG:2006:040806B2B12.06.0

Beschluss

BVerwG 2 B 12.06

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.12.2005 - AZ: OVG 1 A 4732/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. August 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und Dr. Heitz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 58 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache dann zu, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt insoweit die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss danach erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Beantwortung einer bisher höchstrichterlich noch nicht geklärten, fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die Beschwerde zeigt entweder solche Rechtsfragen nicht auf oder enthält die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Angaben nicht. Sie argumentiert über weite Strecken im Stil einer Revisionsbegründung, ohne gesetzliche Revisionszulassungsgründe herauszuarbeiten.

3 1.1 Ohne weitere Begründung können folgende - zum Teil wörtlich, zum Teil sinngemäß gestellte - Fragen als nur auf den Einzelfall bezogen, als nicht verallgemeinerungsfähig und daher als rechtsgrundsätzlich nicht klärungsbedürftig bewertet werden:
- ob der allein stehenden Klägerin aufgrund der tatsächlichen Umstände ihres Falls nach der Aufwandsentschädigungsrichtlinie (AER) Leistungen zustünden (Abschnitt 1. a) S. 2 Abs. 1 der Beschwerdebegründung),
- ob in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts formulierte Grundsätze, die bei der Gewährung einer Aufwandsentschädigung nach § 17 BBesG zu berücksichtigen seien, auch im Fall der Klägerin anzuwenden seien (Abschnitt 1. a) S. 3 Abs. 3 der Beschwerdebegründung),
- wie die hilfsweise geltend gemachten Bestimmungen der Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz bei der Berechnung des konkreten Mietaufwands auszulegen seien (Abschnitt 1. c) S. 5 Abs. 4 der Beschwerdebegründung) und
- ob die lange Dauer des Hotelaufenthalts der Klägerin angelastet werden dürfe (Abschnitt 1. c) S. 6 Abs. 1, Abs. 3 und S. 7 der Beschwerdebegründung).

4 1.2 Die - sinngemäß gestellte - Frage,
ob die Aufwandsentschädigungsrichtlinie hinsichtlich ihrer Rechtsnatur ein der Richtlinie vergleichbarer Gegenstand der Entscheidung des Urteils vom 23. April 2003 - BVerwG 3 C 25.02 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 104 = NVwZ 2003, 1384) gewesen sei (Abschnitt 1. b) S. 5 Abs. 3 der Beschwerdebegründung),
kann ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens bejaht werden. Die Aufwandsentschädigungsrichtlinie ist weder auf dem für Gesetze noch auf dem für Verordnungen vorgesehenen Weg zustande gekommen, sondern als Anlage 6 des Rundschreibens vom 3. April 2000 veröffentlicht worden (vgl. GMBl 2000 S. 355).

5 1.3 Als nur auf den Einzelfall bezogen und daher nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig ist die in diesem Zusammenhang gestellte weitere Frage einzustufen,
ob die der Klägerin erteilte Zusage rechtswidrig werde, wenn die Gewährung der Aufwandsentschädigung nicht den Bestimmungen der Aufwandsentschädigungsrichtlinie entspräche (Abschnitt 1. b) S. 5 Abs. 3 der Beschwerdebegründung).

6 Denn Richtlinien sind keine Rechtssätze, sondern indizieren eine bestimmte Verwaltungspraxis und wirken auf den Einzelnen lediglich über den Gleichheitssatz (stRspr, vgl. Urteil vom 23. April 2003 a.a.O.). Ob bei der Anwendung der Richtlinie gegen den Gleichheitssatz verstoßen wird, ist eine Frage der jeweiligen Einzelfallkonstellation.

7 1.4 Bei der Frage,
ob die Entscheidung der Behörde, die Miete als notwendig anzuerkennen, ein Verwaltungsakt sei (Abschnitt 1. c) S. 6 Abs. 2 der Beschwerdebegründung),
macht die Beschwerde die rechtsgrundsätzliche Bedeutung dieser Fragestellung nicht deutlich. Allein die auch an anderer Stelle der Beschwerdebegründung gebrauchte Formulierung „... dürfte zur Fortentwicklung ... von Bedeutung sein“, erfüllt nicht die in § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genannten Darlegungsanforderungen. Auch aus dem Sinnzusammenhang ergibt sich hierzu nichts Erhellendes.

8 1.5 Der Frage,
„ob eine einvernehmlich geschaffene Wohnsituation, die zu beträchtlichen Mindereinkünften bei der Besoldung führt, im Rahmen des Ermessens nach § 48 Abs. 1 VwVfG zu beachten ist“ (Abschnitt 1. d) S. 8 f. der Beschwerdebegründung),
könnte in einem Revisionsverfahren nicht nachgegangen werden. Denn das Berufungsgericht hat, ohne dass hiergegen Verfahrensrügen erhoben worden wären, festgestellt, dass die Beklagte Ermessenserwägungen angestellt hat (§ 137 Abs. 2 VwGO).

9 1.6 Nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht die in Abschnitt 1. e) S. 10 Abs. 1 und 2 der Beschwerdebegründung angedeutete Fragestellung. Zwar macht die Beschwerde geltend, die Rechtssache werfe „grundsätzliche Fragen zur Rückforderung überzahlter Dienstbezüge auf“, sie bezeichnet diese Fragen jedoch nicht und trägt nicht vor, warum sie rechtsgrundsätzlicher Natur sein sollen.

10 1.7 Die in Abschnitt 1. e) S. 10 Abs. 3 der Beschwerdebegründung aufgeführte Rüge, das Berufungsgericht habe über einen wesentlichen Teil der im Streit befindlichen Leistungen nicht entschieden, stellt keine Frage im Rahmen der Grundsatzrüge dar. Als Verfahrensrüge kann der Vortrag ebenso wenig gewertet werden, weil kein Verfahrensverstoß im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bezeichnet wird (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

11 1.8 Nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung ist die Frage,
ob Verwaltungsvorschriften wie das Rundschreiben des Bundesministeriums des Inneren vom 8. März 1961 i.d.F. vom 31. Mai 1974 auch im Rahmen der Rückforderung zu beachten seien (Abschnitt 1. e) S. 11 Abs. 3 der Beschwerdebegründung).

12 Denn Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen. Sie wirken als Vorschriften des Innenrechts - ebenso wie Richtlinien - auf den Einzelnen lediglich über den Gleichheitssatz (stRspr, vgl. Urteil vom 23. April 2003 a.a.O.). Ob bei der Anwendung einer Verwaltungsvorschrift gegen den Gleichheitssatz verstoßen wird, ist in der Regel eine Frage der jeweiligen Einzelfallkonstellation und daher nicht verallgemeinerungsfähig.

13 1.9 Die Frage,
„wie das Lohngleichheitsprinzip und die Beweislast im Beamtenrecht anzuwenden sind“ (Abschnitt 1. f) S. 12 Abs. 2 der Beschwerdebegründung),
würde sich in einem Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht stellen.

14 1.10 Die Frage,
ob das Berufungsgericht das Recht der Klägerin auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 GG dadurch verletzt habe, dass es die Sache nicht dem Europäischen Gerichtshof mit dem Ziel vorgelegt habe, eine Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV herbeizuführen (Abschnitt 1. f) S. 12 Abs. 3 der Beschwerdebegründung),
kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Berufungsgericht nicht als letztinstanzliches Gericht entschieden hat und seine Rechtsauffassung, dass die Rechtssache keine ungeklärten gemeinschaftsrechtlichen Fragen aufwerfe, nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Juli 2004 - 2 BvR 2248/03 - NVwZ 2004, 1224 <1227> unter Hinweis auf BVerfGE 82, 159 <194>).

15 1.11 Das sonstige Vorbringen der Beschwerde stellt eine Kritik an der berufungsgerichtlichen Entscheidung nach Art einer Revisionsbegründung dar. Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO werden darin nicht dargelegt. Das gilt für
- die Bewertung des Rechtsstandpunkts des Berufungsgerichts zur Nichtanwendbarkeit des § 4 ATGV im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 2002 - 2 BvR 1912/98 - ZBR 2002, 432 als problematisch (Abschnitt 1. a) S. 4 f. der Beschwerdebegründung),
- den Vortrag der Beschwerde, die Beklagte habe im Rahmen des Vertrauensschutzes nicht berücksichtigt, dass die Klägerin die nicht erstatteten Kosten in den Jahren 1998 bis 2000 steuermindernd hätte geltend machen können (Abschnitt 1. e) S. 11 Abs. 2 der Beschwerdebegründung),
- die Argumentation der Beschwerde, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, eine dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Inneren vom 8. März 1961 i.d.F. vom 31. Mai 1974 entsprechende Verwaltungspraxis könne weder im Bereich des früheren Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung noch im gesamten Bereich der Beklagten (mehr) bestanden haben, sei nicht nachzuvollziehen (Abschnitt 1. e) S. 11 Abs. 4, S. 12 Abs. 1 der Beschwerdebegründung),
- die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht habe entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 4. Dezember 2002 - 2 BvR 400/98 - (BVerfGE 107, 27) die Berechnung der Aufwandsentschädigung bei der vorliegenden Kettenabordnung unter Verletzung des Gleichheitssatzes durchgeführt (Abschnitt 1. a) S. 3 Abs. 5 und S. 4 Abs. 1 der Beschwerdebegründung) und
- den Vortrag der Beschwerde zur „indirekten Lohndiskriminierung“ (Abschnitt 1. f) S. 12 - 16 der Beschwerdebegründung).

16 2. Unbegründet ist auch die Divergenzbeschwerde nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Der Rechtssatz des Instanzgerichts braucht dabei zwar nicht ausdrücklich angesprochen zu sein, muss sich jedoch aus der Entscheidung hinreichend deutlich ergeben (Beschluss vom 7. März 1975 - BVerwG 6 CB 47.74 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 130).

17 2.1 Die Beschwerde nimmt Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2002 - 2 BvR 400/98 und 2 BvR 1735/00 - (BVerfGE 107, 27) und bezieht sich auf den dort - sinngemäß - aufgestellten Rechtssatz, dass Alleinstehende im Falle einer Kettenabordnung einkommens-steuerrechtlich nicht anders behandelt werden dürften als Beamte, die aus zwingenden privaten Gründen einen doppelten Haushalt führten. Diesem Rechtssatz stellt die Beschwerde den Rechtssatz des Berufungsgerichts gegenüber, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht gegeben sei, wenn Alleinstehende von der Erstattung dienstlich verursachter Kosten ausgeschlossen würden (Abschnitt 2 S. 17 Abs. 2 der Beschwerdebegründung).

18 Die Divergenzbeschwerde kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil der Bezugsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts die rechtliche Beurteilung der einkommenssteuerrechtlichen Abzugsfähigkeit von im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung entstandenen Kosten nach § 9 EStG zugrunde liegt, während Gegenstand der Berufungsentscheidung Vorschriften des Bundesbesoldungsrechts und des Trennungsgeldrechts sind. Schon deshalb hat das Berufungsgericht keinen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Rechtssatz aufgestellt.

19 2.2 Mit der Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 1996 - BVerwG 11 C 5.95 - (Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 101 = NJW 1996, 1766) benennt die Beschwerde zur Begründung der vermeintlichen Divergenz den dort aufgestellten Rechtssatz, dass ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen unterlägen. Maßgebend für die Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) sei - insbesondere bei unklarem und daher auslegungsbedürftigem Wortlaut - die tatsächliche Handhabung der Verwaltungsvorschriften in der Verwaltungspraxis zur maßgeblichen Zeit. Diesem Rechtssatz stellt die Beschwerde keinen abweichenden Rechtssatz des Berufungsgerichts gegenüber. Vielmehr macht sie geltend, das Berufungsgericht hätte beachten müssen, dass das Ministerium im Zeitpunkt der Abordnung der Klägerin alle allein stehenden Bediensteten gleich behandelt habe und demzufolge die ursprünglich erteilte Zusage nicht im Sinne des § 48 Abs. 1 VwVfG rechtswidrig gewesen sei. Dieser Vortrag begründet keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, sondern beanstandet lediglich, dass der Gleichheitssatz bei Anwendung der Verwaltungsvorschriften im Fall der Klägerin nicht beachtet worden sei.

20 3. Zu Unrecht rügt die Beschwerde schließlich, das Berufungsurteil beruhe auf Verfahrensfehlern.

21 3.1 Die Rüge, das Berufungsgericht habe der Klägerin den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutz versagt, weil es unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dadurch eine Überraschungsentscheidung getroffen habe, dass Gegenansprüche der Klägerin von „mindestens 50 000 DM“ nicht berücksichtigt worden seien (Abschnitt 3 S. 17 Abs. 5 der Beschwerdebegründung), ist unbegründet. Denn diese Ansprüche werden im Berufungsurteil beziffert (vgl. UA S. 58 f.). Auf S. 58 UA wird festgestellt, dass die Klägerin diese Forderung gegen die Beklagte habe. Sollte die Klägerin das vermeintliche Entscheidungsdefizit in der Nichtberücksichtigung anderer Gegenforderungen sehen, so hat sie es entgegen den Vorgaben des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO unterlassen, diese in der Beschwerdebegründung zu konkretisieren. Davon abgesehen hat das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass die der Klägerin gegen die Beklagte zustehenden Gegenansprüche deren Rückforderungsansprüche übersteigen, so dass die Verrechnung der gegenseitigen Ansprüche dazu führt, dass der Beklagten keine Ansprüche gegen die Klägerin mehr zustehen. Aus diesem Grunde hat es das Berufungsgericht nicht für erforderlich gehalten und dementsprechend auch keine tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin außerhalb der im Verfahren geltend gemachten Gegenansprüche noch weitere Ansprüche gegen die Beklagte habe (vgl. S. 59 UA). Dass das Berufungsgericht ihre Sachanträge unzutreffend und dies mit unhaltbaren Erwägungen ausgelegt hätte, trägt die Klägerin mit der Beschwerde nicht vor.

22 3.2 Die Berufungsentscheidung beruht auf keinem Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs die Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168, 1509/89 und 638, 639/90 - BVerfGE 87, 363 <392> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 m.w.N.). Allerdings kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens in den Entscheidungsgründen nicht abhandelt, nicht schon geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt. Das Gericht ist nämlich nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen- und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. So darf es ein Vorbringen außer Betracht lassen, das nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich ist (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 1 BvR 33/83 - BVerfGE 70, 288). Auch sonst verkürzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör nur dann, wenn die Umstände des Falls den eindeutigen Schluss zulassen, dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 und vom 22. November 1983 - 2 BvR 399/81 - BVerfGE 65, 293).

23 Das Berufungsgericht hat sich an diese Grundsätze gehalten. Es hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Entschädigung für getrennte Haushaltsführung mit der Begründung abgelehnt, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 ATGV nicht gegeben sind, dass die Anspruchsbeschränkung auf den in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ATVG genannten Personenkreis von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt ist und dass diese Beschränkung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG kollidiert. Bei dieser Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die der Beurteilung einer Gehörsverletzung zugrunde zu legen ist, war es nicht geboten, auf den nunmehr von der Beschwerde als unbeachtet geblieben gerügten Sachvortrag (Abschnitt 3 S. 17 Abs. 6 und S. 18 Abs. 1 der Beschwerdebegründung) einzugehen. Denn darauf wäre es nicht angekommen.

24 3.3 Die Rüge, das Berufungsgericht sei bei seiner Entscheidung nicht auf die von der Klägerin benannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eingegangen (Abschnitt 3 S. 18 Abs. 2 der Beschwerdebegründung) stellt keine Verfahrensrüge dar, sondern eine der zugelassenen Revision vorbehaltene Rüge der Verletzung des materiellen Rechts.

25 3.4 Dies gilt auch für die Aufklärungsrüge in Abschnitt 3 S. 18 Abs. 3 der Beschwerdebegründung. Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 173 VwGO i.V.m. § 287 ZPO) war das Gericht nicht gehalten, die Richtigkeit von der Beklagten vorgelegter Unterlagen anzuzweifeln und eigene Nachforschungen anzustellen. Die Unterlassung weiterer Ermittlungen oder die Einholung von Gutachten ist nur dann ein Verfahrensfehler, wenn sich die weitere Beweiserhebung dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> sowie Beschlüsse vom 18. Januar 1982 - BVerwG 7 B 254.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 137 S. 4 und vom 4. Dezember 1991 - BVerwG 2 B 135.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238 S. 67). Dies ist nur dann der Fall, wenn das bereits vorliegende Gutachten oder die vorgelegten Urkunden und sonstige Aktenbestandteile grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters oder der vorlegenden Stelle bestehen (BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2 sowie Beschluss vom 4. Dezember 1991 a.a.O.). Dies ist nicht der Fall.

26 Die Beschwerde trägt keine substantiierten Argumente vor, warum das Berufungsgericht die Angaben der Beklagten unkritisch übernommen und eine weitere Aufklärung verfahrensfehlerhaft unterlassen haben soll. Angesichts seiner Rechtsauffassung ist aus dem Beschwerdevortrag auch nicht zu erkennen, warum das Berufungsgericht den Beweisanträgen der Klägerin hätte nachkommen müssen. Allein mit dem Hinweis auf die in Abschnitt 3 S. 18 Abs. 4 und S. 19 bis 20 geschilderten tatsächlichen Umstände wird die Beschwerde nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerecht. Denn sie sagt nicht, auf Grund welcher rechtlichen Voraussetzung und - unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit - mit welchem rechtlichen Ziel das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung diese Umstände in den Blick hätte nehmen müssen.

27 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Beschluss vom 14.03.2007 -
BVerwG 2 B 55.06ECLI:DE:BVerwG:2007:140307B2B55.06.0

Beschluss

BVerwG 2 B 55.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin und Dr. Kugele
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens der Anhörungsrüge.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Dabei kann der Zeitpunkt des Beginns der Zwei-Wochen-Frist, innerhalb der gemäß § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO die Rüge zu erheben ist, offenbleiben. Bestimmt sich dieser Zeitpunkt allein nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die Frist mit der Erlangung der Kenntnis von der Gehörsverletzung zu laufen beginnt, und gilt der fiktive Zeitpunkt „mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post“ nur für die Berechnung der an die „Bekanntgabe“ einer Entscheidung anknüpfenden Ausschlussfrist nach § 152a Abs. 2 Satz 3 VwGO (in diesem Sinne: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 321a Rn. 23 ff. für die bis auf eine unbedeutende Abweichung mit § 152a VwGO wortgleiche Vorschrift des § 321a Abs. 2 ZPO, ferner: Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 321a Rn. 9a; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 321a Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 321a Rn. 14), ist die Rüge rechtzeitig erhoben. Denn dann begann die Frist am 31. August 2006. An diesem Tag ging die am Mittwoch, dem 23. August 2006 abgesendete Ausfertigung des Senatsbeschlusses vom 4. August 2006 in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein. Die Frist endete folglich am 14. September 2006; an diesem Tag ist der Schriftsatz, mit dem die Anhörungsrüge erhoben worden ist, beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

2 Gilt der fingierte Bekanntgabetermin nach § 152a Abs. 2 Satz 3 VwGO auch für die Frist nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO (so Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 152a Rn. 8 f.; ferner: Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 152a Rn. 15; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 152a Rn. 22), obwohl der Gesetzgeber die im Gesetzgebungsverfahren erhobene Forderung nach einer generellen Anknüpfung an die Bekanntgabe nicht übernommen hat (vgl. die Nachweise bei Eyermann a.a.O.), ist die Frist zwar am 11. September 2006 abgelaufen. Doch ist der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein darauf gerichteter ausdrücklicher Antrag ist nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO entbehrlich. Die Fristversäumung wäre auch unverschuldet. Die Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten, die in dem auf dem Begleitschreiben zu dem übersandten Beschluss vom 4. August 2006 angebrachten Vermerk „Anhörungsrüge FA 14. 09.“ zum Ausdruck kommt (vgl. auch den Schriftsatz vom 18. Dezember 2006), der Zeitpunkt des Beginns der Zwei-Wochen-Frist nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO sei nicht der fingierte Bekanntgabezeitpunkt, ist jedenfalls vertretbar.

3 Die Rüge ist jedoch unbegründet.

4 Soweit sie geltend macht, der Senat nehme dem Rechtsmittel der Divergenzbeschwerde dadurch die nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Effektivität, dass er die in der von der Beschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die einkommensteuerrechtliche Abzugsfähigkeit von im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung entstandenen Kosten als nicht divergenzfähig beurteilt hat, macht sie keinen Gehörsverstoß i.S.d. § 152a VwGO geltend. Inhalt dieser Rüge ist vielmehr die nach Auffassung der Klägerin unzutreffende Auslegung der verfahrensrechtlichen Regelung des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

5 Die weitere Rüge, der Senat habe dadurch einen Gehörsverstoß begangen, dass er nicht auf den von der Klägerin vorgetragenen gemeinschaftsrechtlichen Aspekt eingegangen ist, es sei die Pflicht aller Gerichte, dem Gemeinschaftsrecht zur vollen Wirkung zu verhelfen, ist ebenfalls unbegründet. Denn der Senat hat festgestellt, die Auffassung des Berufungsgerichts, die Rechtssache werfe keine ungeklärten gemeinschaftsrechtlichen Fragen auf, sei nicht offensichtlich unhaltbar. Damit hat der Senat zum Ausdruck gebracht, selbst keinerlei gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedarf zu sehen.

6 Mit dem sonstigen Vorbringen der Klägerin ist eine Gehörsverletzung durch den beschließenden Senat bereits nicht dargelegt. Vielmehr betrifft es das Verfahren des Berufungsgerichts oder zielt darauf ab, dass der auf Zulassung der Revision gerichtete Vortrag in diesem Verfahren der Anhörungsrüge nochmals in vollem Umfang geprüft wird. Hierauf kann eine Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gestützt werden.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG ergibt.