Beschluss vom 04.06.2007 -
BVerwG 4 B 17.07ECLI:DE:BVerwG:2007:040607B4B17.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.06.2007 - 4 B 17.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:040607B4B17.07.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 17.07

  • OVG Rheinland-Pfalz - 12.02.2007 - AZ: OVG 8 A 11311/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 105 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

2 1. Die Verfahrensrügen zielen auf die Ansicht des Berufungsgerichts, das zur Genehmigung gestellte Vorhaben - Errichtung eines Einzelhandelsmarktes (Discounter) mit den Sortimenten Lebensmittel, Backwaren und Drogerieartikel auf einer Geschossfläche von etwa 1 415 m2 und einer Verkaufsfläche von rund 700 m2 - verstoße gegen Ziff. 1.3 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „Gewerbegebiet An der Krimm (G 138)“ der Beklagten. Die Ziff. 1.3 lautet
„Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben
(§ 1 Abs. 9 i.V.m. Abs. 5 BauNVO)
In allen Baugebieten innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans „G 138“ (MI, GE und GEE) sind gemäß § 1 Abs. 9 i.V.m. Abs. 5 BauNVO Einzelhandelsbetriebe über 1 200 m2 Geschossfläche unzulässig. Ebenfalls unzulässig sind Einzelhandelsbetriebe unter 1 200 m2 Geschossfläche der nachfolgend aufgeführten, zentrenrelevanten Sortimente:
- Nahrungs- und Genussmittel, Tabakwaren,
- Getränke,
- Zeitungen, Zeitschriften,
- Bücher, Papier- und Schreibwaren, Büroartikel,
- Drogeriewaren, Kosmetik, Putz-, Pflege- und Reinigungsmittel ...“.

3 Das Berufungsgericht hat die Ziff. 1.3 dahin ausgelegt, dass Einzelhandelsbetriebe mit den genannten zentrenrelevanten Sortimenten über und unter 1 200 m2 Geschossfläche in dem überplanten Gewerbegebiet ausgeschlossen seien, und im Einzelnen begründet, dass die so verstandene Festsetzung bauplanungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Der Festsetzung liege ein schlüssiges, widerspruchsfreies Planungskonzept zugrunde, die Konkretisierung der zentrenrelevanten Sortimente und ihre Auswahl seien nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Die Festsetzung verletze weder das Gebot der planerischen Erforderlichkeit noch das Abwägungsgebot. Das Berufungsgericht lässt ausdrücklich offen (UA S. 19), „ob dem Bebauungsplan rechtlich erhebliche Fehler insoweit anhaften, als er die Unzulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben mit nichtzentrenrelevanten Sortimenten und einer Geschossfläche von mehr als 1 200 m2 festsetzt“. Eine mögliche Fehlerhaftigkeit der Festsetzung insoweit könne allenfalls eine - der Klägerin aufgrund des von ihr angestrebten Einzelhandelsbetriebs mit zentrenrelevanten Sortimenten nicht zum Vorteil gereichenden - Teilnichtigkeit des Bebauungsplans zur Folge haben.

4 2. Nach Ansicht der Beschwerde hat das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Festsetzung, „wonach jeglicher Einzelhandel ab einer Geschossfläche von 1 200 m2 ausgeschlossen ist“, allenfalls zu einer - der Klägerin nicht zum Vorteil gereichenden - Teilnichtigkeit der Ziff. 1.3 der textlichen Festsetzungen führen könne. Die Beschwerde rügt, dass diese Frage der Teilnichtigkeit zu keiner Zeit im Verfahren erörtert worden sei. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung der Gewährleistung rechtlichen Gehörs und der richterlichen Hinweispflicht nach § 108 Abs. 2, § 86 Abs. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG.

5 Diese Verfahrensrügen gehen fehl. Sie beruhen auf einem fehlerhaften Verständnis des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen (UA S. 19) entgegen der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Teilnichtigkeit nicht die Frage aufgeworfen, ob Satz 1 der Ziff. 1.3 (Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben über 1 200 m2 Geschossfläche) nichtig und inhaltlich von der Festsetzung in Satz 2 (Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevantem Sortiment unter 1 200 m2 Geschossfläche) abtrennbar sein könnte. Das Berufungsgericht hat die Sätze 1 und 2 der Ziff. 1.3 zusammenfassend dahin ausgelegt, dass Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Sortimenten unter und über 1 200 m2 Geschossfläche ausgeschlossen sind. Mit diesem - auf zentrenrelevante Sortimente beschränkten - Inhalt hat es die Festsetzung in Satz 1 der Ziff. 1.3 nicht beanstandet. Problematisiert, aber offengelassen hat das Berufungsgericht lediglich die weitere Frage, ob der in Satz 1 der Ziff. 1.3 enthaltene Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit nichtzentrenrelevanten Sortimenten und einer Geschossfläche von mehr als 1 200 m2 mit dem Bauplanungsrecht vereinbar ist. Nur insoweit hat es die Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit und der Teilnichtigkeit der Festsetzung 1.3 des Bebauungsplans (genauer: des Satzes 1 der Ziff. 1.3) erwogen, aber als nicht entscheidungserheblich angesehen.

6 Die vom Berufungsgericht thematisierte Frage der Teilnichtigkeit des Satzes 1 der Ziff. 1.3 wird bereits im Schriftsatz der Beklagten vom 7. Februar 2007 (S. 3) deutlich angesprochen. Die Beklagte setzt sich dort mit dem Einwand der Klägerin auseinander, bei Einzelhandelsbetrieben mit mehr als 1 200 m2 Geschossfläche handele es sich nicht um einen Anlagentyp i.S.d. § 1 Abs. 9 BauNVO. Die Beklagte führt aus, dass das Vorhaben der Klägerin nach Ziff. 1.3 der textlichen Festsetzungen selbst dann unzulässig sei, wenn der Einwand der Klägerin in der Sache zuträfe: denn nach der Ziff. 1.3 seien unabhängig von der Geschossflächengröße alle Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Sortimenten über und unter 1 200 m2 Geschossfläche ausgeschlossen. Für Betriebe unter 1 200 m2 Geschossfläche sei dies in Satz 2 der Festsetzung ausdrücklich geregelt. Für Betriebe über 1 200 m2 ergebe sich dies aus der umfassenden Ausschlussregelung des Satzes 1, die sowohl Anlagen mit zentrenrelevanten wie auch die mit nichtzentrenrelevanten Sortimenten erfasse. Die Angabe der Geschossfläche habe ausschließlich Bedeutung „für den Anlagentyp der nicht zentrenrelevanten Warensortimente“. Um einen solchen Betrieb handele es sich aber im konkreten Streitfall nicht. Diesen Standpunkt der Beklagten hat das Berufungsgericht der Sache nach unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Teilnichtigkeit aufgegriffen (vgl. UA S. 19).

7 Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Klägerin gehindert war, dem soeben wiedergegebenen Standpunkt der Beklagten schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht entgegenzutreten. Allein der Umstand, dass das Berufungsgericht die Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung nicht befragt hat, könnte die Gehörsrüge nicht begründen. Nachdem die Beklagte der Sache nach die Frage nach der Teilnichtigkeit der Festsetzung in Satz 1 der Ziff. 1.3 aufgeworfen hat, sind weder die Voraussetzungen eines unzulässigen Überraschungsurteils noch die einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) erfüllt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die gerichtliche Hinweispflicht begründen nach unbestrittener Auffassung keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (Beschluss vom 11. März 1999 - BVerwG 9 B 981.98 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 54 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 - 1 BvR 272/81 - BVerfGE 66, 116 <147>; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>).

8 3. Die erhobene Aufklärungsrüge bleibt ebenfalls erfolglos.

9 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, weil es ohne weitere Erörterungen oder Überprüfungen davon ausgegangen sei, dass die Festsetzung unter Ziff. 1.3 insoweit teilbar sei, als diese Einzelhandelsbetriebe mit Geschossflächen über 1 200 m2 grundsätzlich ausschließe. Aus dem weiteren Beschwerdevorbringen ergibt sich, dass die Klägerin unter Teilbarkeit der Festsetzung in Ziff. 1.3 die Teilung (Trennung) der Sätze 1 und 2 in Ziff. 1.3 versteht. Sie führt hierzu aus, dass bei einem Wegfall des Satzes 1 der übrigbleibende Satz 2 für sich betrachtet sinnlos sei. Die Sätze 1 und 2 der Festsetzung seien weder objektiv noch subjektiv nach der Planungsabsicht der Beklagten teilbar. Die Nichtigkeit von Satz 1 müsse zur Gesamtnichtigkeit der Ziff. 1.3 führen (Beschwerdebegründung S. 11).

10 Diese Aufklärungsrüge missversteht wiederum die Urteilsgründe. Das Berufungsgericht spricht nicht von einer Teilung der Sätze 1 und 2 der Ziff. 1.3, sondern unterscheidet innerhalb des Satzes 1 zwischen dem Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit einem zentrenrelevanten Sortiment und dem Ausschluss von Betrieben mit einem nichtzentrenrelevanten Sortiment (vgl. UA S. 19). Eine ordnungsgemäße Aufklärungsrüge setzt voraus, dass unter Auseinandersetzung mit den Gründen des angegriffenen Urteils schlüssig aufgezeigt wird, welche Sachverhaltsermittlungen sich dem Tatsachengericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung noch hätten aufdrängen müssen. Missversteht die Beschwerde die Entscheidungsgründe, kann die Aufklärungsrüge schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben.

11 Erfolglos bleiben muss daher auch die weitere Aufklärungsrüge, das Berufungsgericht hätte überprüfen müssen, ob es sich bei Einzelhandelsbetrieben mit mehr als 1 200 m2 Geschossfläche um einen Anlagentyp i.S.d. § 1 Abs. 9 BauNVO handele. In dieser Aufklärungsrüge wirkt das Missverständnis der Urteilsgründe, dem die Klägerin erlegen ist, fort. Auf der Grundlage seiner Auslegung des Satzes 1 der Ziff. 1.3 hatte das Berufungsgericht keinen Anlass, der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage nach dem Anlagentyp weiter nachzugehen. Aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts war es folgerichtig, diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit gar nicht zu erörtern.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.