Beschluss vom 04.03.2003 -
BVerwG 7 B 155.02ECLI:DE:BVerwG:2003:040303B7B155.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.03.2003 - 7 B 155.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:040303B7B155.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 155.02

  • VG Chemnitz - 01.08.2002 - AZ: VG 9 K 2066/95

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 1. August 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 79 250 € festgesetzt.

Die Klägerin verlangt die Aufhebung eines Bescheids, mit dem der Beklagte (1.) zwei Flurstücke an die Beigeladene zu 1 zurückübertragen, (2.) die Verpflichtung der Gesellschafter der Beigeladenen zu 1 zur Rückzahlung des staatlichen Anteils festgestellt, (3.) die Gesellschafter zur Rückzahlung einer wegen der Unternehmensschädigung tatsächlich zugeflossenen Geldleistung verpflichtet und (4.) das Nichtbestehen vorrangiger Gläubigeransprüche festgestellt hat. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil das Klagebegehren bis zum Ablauf der Klagefrist nicht erkennbar gewesen sei. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Klägerin hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin hält für klärungsbedürftig, unter welchen Voraussetzungen bei einer Veräußerung von Treuhandvermögen, die vor In-Kraft-Treten des § 3 c VermG erfolgt ist, eine Verpflichtung des Erwerbers zur Duldung der Rückübertragung des Vermögensgegenstands angenommen werden kann. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Grundsatzrevision schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht kein Sachurteil getroffen hat, für das die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich sein könnte.
Das Urteil beruht jedoch auf dem von der Beschwerde gerügten Verfahrensmangel der fehlerhaften Beurteilung einer Sachurteilsvoraussetzung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 74 Abs. 1 VwGO). Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Klage mit Haupt- und Hilfsantrag verfristet sei. Die Klageschrift vom 16. Oktober 1995 ist binnen eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Bescheids beim Verwaltungsgericht eingegangen. Sie entsprach den Mindestvoraussetzungen an den Inhalt einer Klageschrift (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Gegenstand des Klagebegehrens war in der Klageschrift mit dem Antrag bezeichnet, "den Rückübertragungsbescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 12.09.1995, zugegangen am 14.09.1995, AZ.: 442/ 1017/2, abzuändern". Bei einem formulierten Klageantrag, der nicht zwingend vorgeschriebener Inhalt der Klageschrift ist, ergibt sich das Klagebegehren eines anwaltlich vertretenen Klägers in der Regel zwar aus dem Klageantrag. Bei der Auslegung des Klageantrags nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB durfte das Verwaltungsgericht aber nicht annehmen, dass der von der Klägerin gestellte Antrag auf "Abänderung" des Bescheids dessen Aufhebung "offensichtlich" ausschließe. Der Inhalt der Klageschrift gab keinerlei Anlass, die Formulierung als Verzicht auf eine Aufhebung des Bescheids zu verstehen. Da der Klageschrift keine Begründung beigefügt war, konnte die beantragte Abänderung bei der gebotenen Auslegung, die nicht beim Wortlaut der Erklärung stehen bleiben durfte, ohne weiteres als Aufhebung des Bescheids verstanden werden. Auch der Beklagte und die Beigeladenen sind bis zur mündlichen Verhandlung am 17. Januar 2002 davon ausgegangen, dass die Klägerin den Bescheid insgesamt aufgehoben wissen wollte. Ein solches Verständnis drängte sich nicht zuletzt deshalb auf, weil der in der Klageschrift formulierte Antrag nicht auf einzelne Nummern des angefochtenen Bescheids beschränkt war. Unbeschadet der bereits bestandskräftig festgestellten Berechtigung der Beigeladenen zu 1 fehlte es insbesondere an Anhaltspunkten für die Annahme, dass sich die erhobene Klage ausschließlich gegen die Rückzahlung des staatlichen Anteils richtete.
Das Klagebegehren ließ eindeutig erkennen, dass es um den in dem angegebenen Bescheid geregelten Lebenssachverhalt ging. Angesichts mehrerer Regelungen des Bescheids war allenfalls unklar, in welchem Umfang er angefochten werden sollte. Wegen dieser Unklarheit forderte der Kammervorsitzende die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach Eingang der Klageschrift auf, "den Antrag auf 'Abänderung' zu konkretisieren"; eine Frist hierzu bestimmte er nicht. Eine solche auf § 82 Abs. 2 VwGO gestützte Aufforderung hat die Rechtsfolge, dass eine Klageschrift, die nicht in vollem Umfang den Anforderungen dieser Vorschrift entspricht, auch nach Ablauf der Klagefrist ergänzt werden kann; geschieht dies, darf die Klage wegen eines anfänglichen Formmangels nicht mehr als unzulässig abgewiesen werden (Beschluss vom 5. Mai 1982 - BVerwG 7 B 201.81 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 10).
Den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22. Januar 1996 durfte das Verwaltungsgericht nicht dahin auslegen, dass sich die Klägerin ausschließlich gegen den Ausspruch zur Zahlung des staatlichen Anteils wende. Zwar enthält der Schriftsatz mit Bezug hierauf die Äußerung, "allein hiergegen auch richtet sich das Klagebegehren". Diese Äußerung konnte aber schon wegen ihrer inneren Widersprüchlichkeit (einerseits "allein", andererseits "auch") nicht ohne weiteres als eine Prozesserklärung gedeutet werden, die das gesamte Klagebegehren auf diesen Punkt beschränkte. Das Gericht war vielmehr durch § 86 Abs. 3 VwGO gehalten, das Ziel der Klage unter verständiger Würdigung des gesamten Vorbringens der Klägerin zu ermitteln. Das Begehren der Klägerin wurde durch die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. Februar 2000 und später sowie durch den in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2002 gestellten Klageantrag präzisiert. Damit wurde in einer vernünftige Zweifel ausschließenden Weise zum Ausdruck gebracht, dass die Aufhebung des bereits in der Klageschrift bezeichneten Bescheids in vollem Umfang, hilfsweise dessen Abänderung unter Verpflichtung der Berechtigten zur Leistung bestimmter Zahlungen beantragt war.
Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.