Beschluss vom 03.07.2002 -
BVerwG 7 B 44.02ECLI:DE:BVerwG:2002:030702B7B44.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.07.2002 - 7 B 44.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:030702B7B44.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 44.02

  • VG Chemnitz - 22.11.2001 - AZ: VG 9 K 342/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juli 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Dr. F r a n ß e n und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 22. November 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 51 129 € festgesetzt.

Die verfügungsberechtigte Klägerin wendet sich gegen die Rückübertragung eines Mietwohngrundstücks an die Beigeladenen. Der Rechtsvorgänger der Beklagten hatte durch Abhilfebescheid vom 11. Juli 1995 unter Aufhebung eines ablehnenden Bescheids vom 30. Mai 1994 den Beigeladenen das Eigentum an dem Grundstück zurückübertragen, weil das Grundstück von einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 2 VermG betroffen sei. Auf den gegen den Abhilfebescheid erhobenen Widerspruch der Klägerin hob der Rechtsvorgänger der Beklagten durch Bescheid vom 8. November 1995 seine zuvor erlassenen Bescheide auf, übertrug den Beigeladenen den wesentlichen Teil des Grundstücks erneut wegen überschuldungsbedingter Enteignung zurück, setzte einen höheren Ablösebetrag fest und lehnte die Rückübertragung der Restfläche ab, weil ein Ausschlussgrund gegeben sei. Ihren Widerspruch gegen diesen Bescheid begründete die Klägerin damit, dass das Grundstück nicht von einer schädigenden Maßnahme betroffen sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1998 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass der Bescheid vom 8. November 1995 als Rücknahmebescheid anzusehen sei, der wegen Nichtausübung des Ermessens rechtswidrig sei. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.
Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bescheid "als den Rechtsweg erneut eröffnender Zweitbescheid oder als ein den Rechtsweg nur im Rahmen der Änderung eröffnender Änderungsbescheid zu qualifizieren ist", bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Da dem Widerspruch der Klägerin gegen den Abhilfebescheid vom 11. Juli 1995 durch den Bescheid vom 8. November 1995 ganz überwiegend nicht abgeholfen wurde, blieb die Klägerin nach wie vor hinsichtlich des in Streit stehenden Grundstücks durch einen Rückübertragungsbescheid beschwert, gegen den sie in der Gestalt des Widerspruchsbescheids Anfechtungsklage erheben konnte und zwar unabhängig davon, ob der Bescheid vom 8. November 1995 als Zweitbescheid oder als Änderungs- und Ersetzungsbescheid zu bewerten ist. Angesichts dessen würden sich die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
Demgegenüber sieht die Beschwerde zu Recht einen Verfahrensfehler darin, dass das Verwaltungsgericht ohne weiteres von einem zum Nachteil der Klägerin fehlerhaft ausgeübten Rücknahmeermessen ausgegangen ist. Die Annahme des Verwaltungsgerichts beruht i.S.d. § 108 Abs. 1 VwGO auf einer unzureichenden Überzeugungsbildung, weil es den sich aufdrängenden Umstand übersehen hat, dass die Aufhebung des Abhilfebescheids vom 11. Juli 1995 mit der Klage nicht angegriffen war. Das war auch nicht erforderlich. Die Klägerin wollte eine Wiederherstellung des das Restitutionsbegehren der Beigeladenen ablehnenden Bescheids des Landratsamtes G. vom 30. Mai 1994 erreichen. Hierfür bedurfte es nicht der Aufhebung des Abhilfebescheids vom 11. Juli 1995. Diese war bereits durch Nr. 1 des Bescheids vom 8. November 1995 erfolgt. Ob darin gegenüber den Beigeladenen eine "Rücknahme" des sie begünstigenden Abhilfebescheids vom 11. Juli 1995 lag oder liegen konnte, war eine das Klagebegehren nicht berührende Rechtsfrage. Sie hätte allenfalls Bedeutung gewinnen können, wenn der Bescheid vom 8. November 1995 auch von den Beigeladenen mit der Klage angegriffen worden wäre. In diesem Falle hätte man freilich in Bezug auf das in Streit stehende Flurstück 2445/1 nach der sich für die Beigeladenen ergebenden Beschwer fragen müssen, da deren Restitutionsbegehren in Nr. 3 des Bescheids ja erneut stattgegeben wurde. Allein diese erneute Anordnung der Restitution und die damit einhergehende - erneute - Aufhebung des Bescheids vom 30. Mai 1994 war Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und des vorangegangenen Widerspruchsverfahrens. Da also gegenüber der Klägerin nichts zurückgenommen worden, sondern während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens nur eine von ihr angegriffene Regelung durch eine gleich lautende andere Regelung ersetzt worden war, gab es auch für das Verwaltungsgericht keinerlei Anlass, sich über die Ausübung oder Nichtausübung eines Rücknahmeermessens zu verhalten. Wenn dies gleichwohl geschehen ist und zudem auch noch zum Erfolg der Klage geführt hat, kann der Grund dafür nur darin liegen, dass das Verwaltungsgericht entweder den Inhalt des angefochtenen Bescheids nicht zur Kenntnis genommen oder dessen tatsächliche Reichweite denkfehlerhaft missverstanden oder die Rechtspositionen der Beigeladenen und der Klägerin nicht auseinander gehalten hat. In jedem Fall ist es, was den Inhalt des Bescheids vom 8. November 1995 angeht, aktenwidrig von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
Ob die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde begründet sind, kann hiernach offen bleiben. Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Da sich - wie aus dem Vorstehenden ersichtlich - im vorliegenden Fall keinerlei an die Vorschrift des § 48 VwVfG anknüpfende Fragen stellen, wird das Verwaltungsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob die von der Beklagten angeordnete Restitution des Flurstücks 2445/1 rechtmäßig ist oder nicht.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.