Verfahrensinformation

Der Kläger, ein nigerianischer Staatsangehöriger, heiratete 2008 in Griechenland eine bulgarische Staatsangehörige. Die Eheleute reisten Ende 2012 zum Zwecke der Erwerbstätigkeit in das Bundesgebiet ein. 2014 trennten sie sich, und die Ehefrau des Klägers kehrte allein nach Bulgarien zurück. Seit August 2015 lebt sie - vom Kläger weiterhin getrennt - wieder in Deutschland. 2016 wurde die Ehe geschieden.


Nach dem Wegzug der Ehefrau stellte die Ausländerbehörde fest, dass der Kläger sein Freizügigkeitsrecht verloren hat. Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass das akzessorische Aufenthaltsrecht des Klägers mit dem Wegzug seiner Ehefrau erloschen ist, weil seinerzeit noch kein Scheidungsverfahren eingeleitet war, und mit ihrer Wiedereinreise mangels Wiederaufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht wieder aufgelebt ist. Es hat aber die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, ob das von einem Unionsbürger abgeleitete Freizügigkeitsrecht eines von diesem getrennt lebenden drittstaatsangehörigen Ehegatten wieder auflebt, wenn der Unionsbürger den Aufnahmemitgliedstaat, in dem der Ehegatte verbleibt, zunächst verlässt, dann jedoch erneut einreist, ohne dass die eheliche Lebensgemeinschaft wieder aufgenommen wird.


Pressemitteilung Nr. 24/2019 vom 28.03.2019

Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem Unionsbürger hindert nicht das Entstehen eines abgeleiteten unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts

Ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht kann bei einem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines in Deutschland lebenden freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft entstehen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Kläger, ein nigerianischer Staatsangehöriger, heiratete 2008 in Griechenland eine bulgarische Staatsangehörige. Die Eheleute reisten 2012 gemeinsam zum Zwecke der Erwerbstätigkeit in das Bundesgebiet ein. 2014 trennten sie sich, und die Ehefrau des Klägers verzog allein nach Bulgarien. Seit August 2015 lebt sie - vom Kläger weiterhin getrennt - wieder in Deutschland. 2016 wurde die Ehe geschieden. Nach dem Wegzug der Ehefrau stellte die Ausländerbehörde fest, dass der Kläger sein Freizügigkeitsrecht nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) in Verbindung mit der Richtlinie 2004/38/EG (sog. Unionsbürger-Richtlinie) verloren hat. Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vor­instanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Aufenthaltsrecht des Klägers als Ehegatte einer Unionsbürgerin mit deren Wegzug erloschen und mit ihrer Wiedereinreise mangels Wiederaufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht neu entstanden ist.


Auf die Revision des Klägers hat der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben. Zwar ist in Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) das mit dem gemeinsamen Zuzug entstandene abgeleitete Aufenthaltsrecht des Klägers als drittstaatsangehöriger Ehegatte einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin mit dem Wegzug seiner Ehefrau erloschen. Es ist aber mit ihrer erneuten Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet neu entstanden, wenn und soweit die Ehefrau nach ihrer Rückkehr (weiterhin) freizügigkeitsberechtigt war. Unter dieser Voraussetzung geht es mit der Scheidung der Ehe nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 FreizügG/EU in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2004/38/EG in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht über. Dem steht nicht entgegen, dass die Eheleute nach der Rückkehr der Ehefrau weiterhin getrennt gelebt haben. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH muss der Ehegatte eines Unionsbürgers nicht notwendigerweise ständig bei dem Unionsbürger wohnen, um Inhaber eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu sein. Für ein „Begleiten“ bzw. „Nachziehen“ im Sinne des Unionsrechts genügt es vielmehr, dass sich beide Eheleute in dem Mitgliedstaat aufhalten, in dem der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Dies gilt bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs oder Betrugs (einschließlich des Eingehens einer Scheinehe). Damit unterscheidet sich das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Ehegatten eines Unionsbürgers vom nationalen Nachzugsrecht, nach dem Aufenthaltserlaubnisse aus familiären Gründen (nur) zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft erteilt werden. Auch bedarf es für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht bei getrennt lebenden Eheleuten nicht einer im Sinne des Ehe- und Familienschutzes über das formale Band der Ehe hinausgehenden schutzwürdigen Beziehung. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Ehefrau des Klägers bei Scheidung der Ehe freizügigkeitsberechtigt war, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden und war der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.


BVerwG 1 C 9.18 - Urteil vom 28. März 2019

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 3 B 5.16 - Urteil vom 13. September 2017 -

VG Berlin, 24 K 45.15 - Urteil vom 04. Februar 2016 -


Beschluss vom 03.05.2016 -
BVerwG 3 B 5.16ECLI:DE:BVerwG:2016:030516B3B5.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.05.2016 - 3 B 5.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:030516B3B5.16.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 5.16

  • OVG Koblenz - 18.11.2015 - AZ: OVG 8 C 10421/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Mai 2016
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Plangenehmigung, soweit diese die Änderung eines in der Nähe ihres Reiterhofes gelegenen Bahnübergangs betrifft.

2 Die Klägerin bietet auf ihrem Reiterhof therapeutisches Reiten an. Südlich des Reiterhofs kreuzt ein Wirtschaftsweg, der Teil des Lahntalradwegs ist, die eingleisige Bahnstrecke Wetzlar - Koblenz. Jenseits der Bahn befindet sich eine von der Klägerin genutzte Koppel mit Reitplatz. Der Bahnübergang, zu dem von der Straße Koppelheck parallel zu dieser ein etwa 15 m langer Aufstieg verläuft, ist durch ein akustisches Signal und ein Lichtzeichen (Blinklicht) gesichert. Der Wirtschaftsweg ist für Anlieger mit Fahrzeugen bis zu 10 m Länge sowie Fahrradfahrer zugelassen; er hat bis zum Bahnübergang eine Breite von 2,50 m.

3 Die Plangenehmigung gestattet der Beigeladenen, die bisherige Bahnübergangssicherung durch eine zuggesteuerte Lichtzeichenanlage mit Halbschranken zu ersetzen; für Fußgänger und Radfahrer ist eine akustische Warnanlage vorgesehen. Um Begegnungsverkehr zu ermöglichen, werden die Räumstrecken beiderseits der Bahnlinie auf 6 bis 8 m bzw. 6 bis 8,30 m erweitert. Im Bereich des Bahnübergangs wird die Fahrbahn bis auf 7 m verbreitert. Hierzu ist es erforderlich, eine Stützmauer zwischen dem die Strecke querenden Wirtschaftsweg und der Straße Koppelheck zu errichten (UA S. 2 f.). Die Beigeladene hat der Klägerin mindestens ein Vierteljahr im Voraus den Beginn und das Ende der Baumaßnahme mitzuteilen. Die Bauzeit ist auf etwa acht Wochen zu beschränken. Der Einsatz besonders lauter Maschinen soll außerhalb der Reitstunden erfolgen und ist mit der Klägerin abzustimmen (UA S. 21).

4 Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Plangenehmigung, soweit sie die Änderung des Bahnübergangs betrifft, hilfsweise die Beklagte u.a. zu verpflichten, der Beigeladenen aufzugeben, ihr - der Klägerin - die Übernahme aller Kosten zuzusagen, die für die Auslagerung des Reitbetriebs während der Baumaßnahme entstehen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

5 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6 1. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die Klägerin hält die Frage für klärungsbedürftig,
wie groß die Reichweite der Konzentrationswirkung der eisenbahnrechtlichen Plangenehmigung zur Mitgestaltung von Folgemaßnahmen ist.

7 Sie ist der Auffassung, dass der vorgesehene Ausbau des Wirtschaftsweges im Bereich des Bahnübergangs in eine zweispurige Autostraße und die Errichtung der Stützmauer in das Landschaftsbild derart massiv eingriffen, dass sie der Bauleitplanung vorbehalten bleiben müssten.

8 Soweit die Frage fallübergreifend beantwortet werden kann, ist dies auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens möglich. Gemäß § 18 Satz 3 AEG, § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens "einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen" im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Für die Plangenehmigung gilt nichts anderes; sie hat gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 VwVfG die Rechtswirkungen der Planfeststellung. Nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dient die Erstreckung der Planungskompetenz des Trägers eines Vorhabens auf notwendige Folgemaßnahmen an anderen Anlagen dem Gebot der Problembewältigung. Folgemaßnahmen sind zu treffen, um die Probleme zu lösen, die durch das Vorhaben für die Funktionsfähigkeit der anderen Anlagen entstehen. Das Gebot der Problembewältigung rechtfertigt es nicht, andere Planungen mitzuerledigen, obwohl sie ein eigenes umfassendes Planungskonzept erfordern. Insoweit unterliegt der Begriff der notwendigen Folgemaßnahme wegen seiner kompetenzerweiternden Wirkung räumlichen und sachlichen Beschränkungen. Folgemaßnahmen dürfen über Anschluss und Anpassung nicht wesentlich hinausgehen (BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2010 - 9 B 103.09 - Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 35 Rn. 4 und Urteil vom 19. Februar 2015 - 7 C 11.12 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​190215U7C11.12.0] - BVerwGE 151, 213 Rn. 31). Ob die Aufweitung des Wirtschaftsweges im Bereich des Bahnübergangs und die Errichtung der Stützmauer für die Anbindung des Bahnübergangs an die Straße Koppelheck hiernach notwendige Folgemaßnahmen der geänderten Bahnübergangssicherung sind - hierauf ist die Frage in ihrer konkretisierten Fassung gerichtet -, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Inwiefern eine über die vorhandene Rechtsprechung hinausgehende fallübergreifende Klärung möglich sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die Beklagte für die Dimensionierung des Bahnübergangs den Fall der Begegnung eines Traktors mit Anhänger mit einem Kleintransporter angenommen habe. Dieses Szenario erscheine vorstellbar, da der Bahnübergang von Anliegern mit Fahrzeugen bis zu 10 m Länge genutzt werden könne. Begegnungsverkehr könne auch zwischen Fahrradfahrern oder Reitern und anderen Fahrzeugen entstehen (UA S. 16). An diese Feststellungen wäre das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Ausgehend hiervon hatte das Oberverwaltungsgericht keine Zweifel, dass die Aufweitung des Wirtschaftsweges eine Folgemaßnahme im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG darstellt. Warum die kleinräumige Anpassung des weiterhin nur für den Anliegerverkehr und Fahrradfahrer zugelassenen Wirtschaftsweges eine eigene Planung erfordern sollte, ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerde nicht zu erkennen.

9 2. Als Verfahrensmangel rügt die Klägerin, dass das Oberverwaltungsgericht nicht aufgeklärt habe, aus welchen tatsächlichen Gründen die Beklagte die vierteljährige Vorwarnzeit angeordnet habe. Auf Befragen hätte die Beklagte erklärt, die rechtzeitige Ankündigung der Baumaßnahme solle der Klägerin ermöglichen, den Reitbetrieb umzuorganisieren und die Pferde auszuquartieren; die Beigeladene hätte erklärt, die hierfür erforderlichen Aufwendungen zu erstatten.

10 Das Oberverwaltungsgericht hat seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 86 Abs. 1 VwGO), nicht verletzt. Der Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt sich anhand der materiellen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. August 2011 - 3 B 6.11 - Buchholz 418 Ärzte Nr. 111 Rn. 5 und vom 23. November 2015 - 7 B 40.15 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​231115B7B40.15.0] - juris Rn. 17). Das Oberverwaltungsgericht hat - wie zuvor die Beklagte in der Plangenehmigung (S. 28 f.) -einen Anspruch der Klägerin darauf, der Beigeladenen die Kosten für die Auslagerung des Reitbetriebes während der Baumaßnahme aufzuerlegen, verneint (UA S. 21 f.). Ausgehend hiervon hatte es keinen Anlass, die Beklagte und die Beigeladene zum Zweck der angeordneten Vorankündigung der Baumaßnahme zu befragen.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.