Beschluss vom 03.04.2013 -
BVerwG 9 BN 5.12ECLI:DE:BVerwG:2013:030413B9BN5.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.04.2013 - 9 BN 5.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:030413B9BN5.12.0]

Beschluss

BVerwG 9 BN 5.12

  • Sächsisches OVG - 06.08.2012 - AZ: OVG 5 D 31/07

In der Normenkontrollsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. April 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. August 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 31 319,92 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch.

2 1. Die Beschwerde macht als Verletzung des § 88 VwGO geltend, das Oberverwaltungsgericht habe nicht - wie von der Antragstellerin ausschließlich begehrt - den einheitlichen Gebührensatz für die Teilleistung Niederschlagswasserentsorgung in der Abwasserbeitrags- und Gebührensatzung - AbwBGS - vom 18. Juli 2006 des Antragsgegners für unwirksam erklärt, sondern die Regelungen zur Bemessung und Ermittlung der Gebühr für die Niederschlagswasserentsorgung. Dem kann nicht gefolgt werden.

3 Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 12. März 2012 - BVerwG 9 B 7.12 - juris Rn. 5).

4 Hiervon ausgehend ist die angegriffene Entscheidung nicht über das Antragsbegehren hinausgegangen. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2007 beantragt, die AbwBGS „in ihrem Niederschlagswassergebührenteil“ für nichtig zu erklären. Die im Tenor enthaltene Unwirksamkeitserklärung der §§ 26, 27 AbwBGS entspricht - je nach Auslegung des Begriffs „Niederschlagswassergebührenteil“ - vollständig oder zumindest weitgehend dem gestellten Antrag (a), jedenfalls geht sie nicht über das Rechtsschutzziel der Antragstellerin hinaus (b).

5 a) Versteht man den Ausdruck „Niederschlagswassergebührenteil“ in einem engeren Sinne, entspricht die Tenorierung vollständig dem gestellten Antrag, denn der 3. Abschnitt (Niederschlagswasserentsorgung) des II. Teils (Abwassergebühren) der AbwBGS enthält lediglich die zwei für unwirksam erklärten Bestimmungen zur Bemessung und Ermittlung dieser Gebühr (§§ 26, 27 AbwBGS). Falls die Beschwerde - auf der Grundlage eines weiter gefassten Begriffsverständnisses - rügen sollte, dass die Unwirksamkeitserklärung hinter der Antragstellung zurückbleibt, weil sie sich nicht auch auf die Festlegung des Gebührensatzes für die Niederschlagswasserentsorgung in § 29 Abs. 2 AbwBGS erstreckt, fehlt es bereits an einer Beschwer des Antragsgegners. Im Übrigen ist diese Vorschrift ohne die für unwirksam erklärten Bestimmungen zur Bemessung und Ermittlung der Gebühr für die Niederschlagswasserentsorgung ohnehin nicht anwendbar.

6 b) Der Ausspruch - Erklärung der Unwirksamkeit der §§ 26, 27 AbwBGS - geht auch in der Sache nicht über das Antragsbegehren hinaus. Aus der Antragsbegründung ergibt sich, dass der Normenkontrollantrag auf einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbelastung im Zusammenhang mit dem erfolgten Wechsel des Finanzierungssystems gestützt wird: Die Satzung sehe einen einheitlichen Gebührensatz von 0,65 € je Quadratmeter versiegelter Fläche sowohl für diejenigen vor, die - wie die Antragstellerin - bereits in der Vergangenheit Niederschlagswasserbeiträge entrichtet hätten, als auch für solche, bei denen dies nicht der Fall sei. Die nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es bestehe in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass in Fällen eines Wechsels der Finanzierungsart Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müssten, um einen derartigen Gleichheitsverstoß zu vermeiden, sei es durch Rückzahlung anteiliger Beiträge, sei es durch differenzierende Gebühren. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Antragstellerin, dem Beklagten eine Problemlösung vorzugeben. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde hat die Antragstellerin damit nicht ausschließlich begehrt, den einheitlichen Gebührensatz für die Teilleistung Niederschlagswasserentsorgung für unwirksam zu erklären. Vielmehr ging es ihr darum, die aus ihrer Sicht gleichheitswidrige Heranziehung zu Niederschlagswassergebühren feststellen zu lassen. Diesem Begehren hat das Oberverwaltungsgericht entsprochen, indem es die beiden zentralen Normen zur Niederschlagswassergebühr für unwirksam erklärt hat; auf die Frage, ob es der Vollständigkeit halber auch noch § 29 Abs. 2 AbwBGS in den Tenor hätte einbeziehen müssen, kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an.

7 2. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs (Überraschungsentscheidung), der Antragsgegner habe angesichts der allein auf die Nichtigkeit des einheitlichen Gebührensatzes bezogenen Antragsbegründung nicht damit rechnen können, dass auch die Regelungen zur Bemessung und Ermittlung der Gebühr für die Niederschlagswasserentsorgung für unwirksam erklärt würden. Wie ausgeführt gibt der Antragsgegner das Antragsbegehren nicht zutreffend wieder.

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.