Beschluss vom 03.04.2003 -
BVerwG 3 B 18.03ECLI:DE:BVerwG:2003:030403B3B18.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.04.2003 - 3 B 18.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:030403B3B18.03.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 18.03

  • Bayerischer VGH München - 12.12.2002 - AZ: VGH 11 B 99.244

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und
Dr. B r u n n
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 102 258,37 € festgesetzt.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. In zulässiger Weise sowie zu Recht macht die Beschwerde (S. 49 ff. der Begründungsschrift vom 17. Januar 2003) geltend, dass der angefochtene urteilsvertretende Beschluss (§ 130 a VwGO) an einem zu seiner Aufhebung nötigenden Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO leidet. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich eine entscheidungswesentliche Überzeugung verschafft, ohne auf das Klägervorbringen in der von Art. 103 Abs. 1 GG/§ 108 Abs. 2 VwGO gebotenen Weise einzugehen bzw. seiner Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) in dem gebotenen Umfang zu genügen. Deshalb ist gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zu verfahren, weshalb es offen bleiben kann, ob die Beschwerde auch im Hinblick auf die übrigen Rügen, insbesondere die Grundsatzrügen, begründet wäre.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hätte dem klägerischen Vorbringen ausreichende Beachtung schenken und insoweit näher aufklären müssen, dass die Klägerin in der Lage sei, auch in Bayern in überschaubarer Zeit eine ausreichende Anzahl von Prüfingenieuren aufzubieten.
a) Der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichtshofs, von dem bei der Prüfung der geltend gemachten Verfahrensmängel auszugehen ist, und zwar unabhängig davon, ob dieser Ansatz zutreffend ist (vgl. Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 m.w.N.), lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Überwachungsorganisation beurteile sich als Folge des In-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 11. September 2002 (BGBl I S. 3574; vgl. hierzu BTDrucks 14/8766) nach diesen Bestimmungen, vor allem nach der Anlage VIII b zu § 29 StVZO (BGBl I S. 3580 ff.). Hiernach setze eine Anerkennung - bezogen auf das Anerkennungsgebiet Bayern - im Grundsatz voraus, dass die Klägerin über dreißig Prüfingenieure mit Sitz in Bayern verfügen könne, wobei nicht nur Kraftfahrzeugsachverständige, sondern auch deren Angestellte als Prüfingenieure zu bezeichnen seien; diese Voraussetzung erfülle die Klägerin nicht, weil sie nach ihrem Vorbringen in Bayern (nur) über "fünf Kommanditisten" verfüge, wobei ihrem Vortrag nicht zu entnehmen sei, dass diese Angestellte hätten, welche als Prüfingenieure bezeichnet werden könnten. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Auch wenn man die Maßstäbe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2002 - 1 BvR 861/01 - in einem das Anerkennungsgebiet Nordrhein-Westfalen betreffenden Verfahren auf das Streitverfahren übertrage, müssten der Klägerin jedenfalls mehr als fünf Prüfingenieure mit Sitz in Bayern angehören (S. 13 des Beschlussumdrucks, oben), was nicht der Fall sei. Gleiches gelte für die - verfassungsrechtlich unbedenkliche - Anforderung, dass im Zeitpunkt der Anerkennung zumindest eine hinreichend begründete Aussicht dafür bestehen müsse, dass (wenigstens) in absehbarer Zeit die notwendige Anzahl von Prüfingenieuren zur Verfügung stehe (S. 13 des Beschlussumdrucks, unten).
b) Ausgehend von diesem (verfassungs-)rechtlichen Ansatz durfte der Verwaltungsgerichtshof das klägerische Vorbringen und die hierauf bezogenen Beweisangebote nicht mit dem Hinweis darauf abtun, die Klägerin habe ausreichende Indizien dafür, dass es ihr demnächst möglich sein könnte, eine genügende Anzahl von Prüfingenieuren an sich zu binden, bisher nicht benennen können; namentlich reichten insoweit nicht die Hinweise der Klägerin aus, dass sie von allen anerkannten Überwachungsorganisationen zwischenzeitlich die besten Konditionen für die Prüfingenieure biete, in naher Zukunft nochmals eine Werbeaktion starten werde und eine Erhöhung der Zahl ihrer Mitglieder in Bayern gerade als Folge der im vorliegenden Verfahren erstrebten Anerkennung zu erwarten sei:
aa) Die Prozesssituation zum gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt (12. Dezember 2002) war dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts auch in Bayern - in drei Bundesländern ist die Klägerin als Überwachungsorganisation seit einigen Jahren bereits anerkannt - ihre Anerkennung begehrte. Dabei war für die behördliche und gerichtliche Versagung des Anerkennungsbegehrens bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 21. Oktober 1998 die Frage der ausreichenden Anzahl von Sachverständigen/Prüfingenieuren in Bayern nicht entscheidungswesentlich; nach dem damals gültigen Recht, welches durch die Verordnung vom 24. Mai 1989 (BGBl I S. 1002) sowie eine Richtlinie vom 6. Juni 1989 (VKBl S. 394) gesetzt worden war, war zwar die ausreichende Leistungsfähigkeit der antragstellenden Organisation erforderlich und sollte deswegen die Organisation von mindestens vierzig Kraftfahrzeugsachverständigen gebildet und getragen werden, aber es wurden dabei Sachverständige der Organisation in anderen Ländern mitgezählt. Eine der vom Verwaltungsgerichtshof herangezogenen gültigen Regelung vergleichbare wurde (erst) durch die Verordnung vom 20. Mai 1998 (BGBl I S. 1051) geschaffen, was indessen für das Verwaltungsgericht nach den Gründen des erstinstanzlichen Urteils nicht entscheidungserheblich war.
Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster durch Urteil vom 22. September 2000 (- 8 A 2429/99 - NZV 2001, 184 ff.) die letztgenannte Vorschrift für - weil nicht auf einer genügenden gesetzlichen Ermächtigung beruhend - nichtig erklärt und nur im Sinne einer "Notkompetenz" anwendbar beurteilt hatte (vgl. auch den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss des Senats vom 11. April 2001 - BVerwG 3 B 198.00 - sowie den vorerwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2002 - 1 BvR 861/01 -), verlagerte sich das Hauptgewicht der Vorbringen der Verfahrensbeteiligten im Berufungsverfahren zunächst auf die Frage, ob die Klägerin etwas daraus herleiten kann, dass sie - so ihr Vorbringen - die personenbezogenen Anerkennungsvoraussetzungen nach altem Recht erfüllt habe, sowie später - als Folge des In-Kraft-Tretens des Gesetzes vom 11. September 2002 (BGBl I S. 3574) - darauf, ob durch die gültige Fassung der Anerkennungsvoraussetzungen den berechtigten verfassungsrechtlichen Interessen von Altbewerbern Genüge getan worden sei. Dementsprechend enthält der gerichtliche Hinweis vom 24. September 2002, mit welchem die Verfahrensbeteiligten von der (unveränderten) Absicht des Verwaltungsgerichtshofs in Kenntnis gesetzt wurden, ohne mündliche Verhandlung gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss zu entscheiden, den Hinweis auf die Vorschriftenänderungen vom 11. September 2002.
bb) Mangels entsprechender Rüge hat der beschließende Senat nicht darüber zu befinden, ob in der vorbezeichneten Prozesssituation überhaupt ein Beschluss gemäß § 130 a VwGO ergehen durfte (vgl. hierzu Beschluss vom 12. März 1999 - BVerwG 4 B 112.98 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 35 S. 5 m.w.N.), was mit guten Gründen bezweifelt werden kann. Das Streitverfahren warf und wirft eine Fülle schwierigster Rechts- und Tatsachenfragen auf, die sich vor allem daraus ergeben, dass - wie dargelegt - das Begehren der Klägerin von der Antragstellung bis zur abschließenden tatsachengerichtlichen Entscheidung einer (verfassungs-)rechtlichen Prüfung nach zumindest drei unterschiedlichen Rechtslagen zu unterziehen war, so dass sich dem Verwaltungsgerichtshof unter anderem die auch vom Bundesverfassungsgericht im erwähnten Beschluss vom 21. März 2002 aufgeworfene schwierige Frage stellte, ob - trotz des Grundsatzes, dass bei Verpflichtungsklagen die Rechts- und Tatsachenlage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist - die Verpflichtung zur Zulassung eines Bewerbers zu einer beruflichen Betätigung auch dann auszusprechen sein kann, wenn die Zulassung zwar nach dem während des Rechtsstreits in Kraft getretenen Recht nicht mehr begehrt werden kann, der Bewerber aber bei In-Kraft-Treten der neuen Vorschriften bei ordnungsgemäßer Handhabung des bisherigen Rechts im Besitz der Zulassung hätte sein müssen (vgl. dazu Urteil vom 14. März 1961 - BVerwG I C 48.57 - Buchholz 350 § 25 BRAO Nr. 1 S. 2 m.w.N.; vgl. auch die Nachweise im Urteil vom 26. April 1968 - BVerwG VI C 104.63 - BVerwGE 29, 304 <305>). Ob die auf diese und andere Fragen erteilten Antworten des Verwaltungsgerichtshofs über rechtliche Zweifel erhaben sind, muss im Zusammenhang der Verfahrensrüge offen bleiben. Jedenfalls hätte der Verwaltungsgerichtshof dem Vorbringen der Klägerin (sowie den entsprechenden Beweisangeboten) näher nachgehen müssen, vor einer Aufnahme ihrer Überwachungstätigkeit werde es ihr innerhalb kurzer Zeit möglich sein, selbst den nach neuem Recht geforderten Voraussetzungen in personeller Hinsicht zu genügen:
(1) Wie bereits dargelegt, ist der angefochtene Beschluss durch die (verfassungs-)rechtliche gerichtliche Überzeugung gekennzeichnet, wonach für eine Anerkennung jedenfalls mehr als fünf Prüfingenieure mit Sitz in Bayern unabdingbar seien bzw. in absehbarer Zeit die notwendige Anzahl von Prüfingenieuren zur Verfügung stehen müsse, während die Klägerin nur fünf solcher Prüfingenieure aufbieten könne.
Berücksichtigt man, dass diese Anerkennungsvoraussetzungen der Klägerin nicht bekannt sein konnten, weil sie vor der gefällten Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht offenbart worden und auch nicht ohne weiteres aus Wortlaut, Sinn und Zweck der herangezogenen Vorschriften zu entnehmen waren (vgl. Beschluss vom 12. Februar 1999 - BVerwG 3 B 169.98 - SächsVBl 1999, 184), sie vielmehr vom Verwaltungsgerichtshof deswegen entwickelt worden sein dürften, um den im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2002 dargelegten Maßstäben und angedeuteten Zweifeln zu genügen, so verbietet es sich von vornherein, an klägerisches Vorbringen, welches die Erfüllung solcher Voraussetzungen darzutun sucht, unangemessen strenge Anforderungen zu richten.
Ausgehend hiervon und vor dem Hintergrund, dass bei einer Organisation, die in drei Bundesländern anerkannt ist und die über Jahre hinweg an ihrem Begehren festgehalten hat, auch in Bayern anerkannt zu werden, weil sie dort ihren Mitgliedern die Möglichkeit der beruflichen Betätigung verschaffen wollte, die Erwartung nahe liegt, dass sie - ausgehend von fünf Mitarbeitern (Kraftfahrzeugsachverständigen/Prüfingenieuren) - zumindest die verlangten "mehr als fünf" Prüfingenieure vor einer Aufnahme ihrer Überwachungstätigkeit aufzubieten in der Lage sein wird, musste das klägerische Vorbringen als eine solche Berühmung einer gesicherten Erwartung verstanden werden. Im Schriftsatz vom 24. Mai 2002 hat die Klägerin - beginnend ab Seite 9 Mitte - mit Blick auf entsprechende Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 21. März 2002 nämlich ausführlich und unter Beweisantritt vorgetragen, es gebe zwischenzeitlich berechtigten Grund zur Annahme, dass es in der nächsten Zukunft zu einer Erhöhung der Anzahl sowohl der Mitglieder/Gesellschafter als auch ihrer Prüfingenieure kommen werde.
(2) In dieser eingetretenen Prozesssituation hätte der Verwaltungsgerichtshof, hätte er eine mündliche Verhandlung durchgeführt, die Verfahrensbeteiligten nach Lage der Dinge auf die Möglichkeit hinweisen müssen, dass er womöglich seiner Entscheidung diesen rechtlichen Ansatz zugrunde legen werde, welcher der angefochtenen Entscheidung entspricht. Dann hätte die Klägerin sowohl Anlass als auch Gelegenheit gehabt, tatsächliche Gesichtspunkte zu ergänzen oder nachzutragen, die sie der Anerkennung noch hätten näher bringen können bzw. zu einer solchen geführt hätten, soweit sie vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht als erbracht angesehen worden wären. Durch die Wahl der Entscheidungsform des § 130 a VwGO durfte der Verwaltungsgerichtshof diese Möglichkeiten nicht beschneiden.
(3) Deshalb genügen auch die Entscheidungsgründe nicht den insoweit zu stellenden Anforderungen; der Sache nach übertragen sie nämlich lediglich die Gründe, die für das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 21. März 2002 für die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde maßgeblich waren, auf das Streitverfahren, wobei unberücksichtigt geblieben ist, dass das Bundesverfassungsgericht nach den Gründen dieses Beschlusses von dem Umstand auszugehen hatte, dass im damaligen Verfahren die Klägerin in mündlicher Verhandlung eingeräumt hatte, die Zahl in Nordrhein-Westfalen ansässiger Sachverständiger, die zu ihr wechseln könnten, sei in absehbarer Zeit nicht nennenswert zu steigern (vgl. S. 8 des Beschlusses vom 21. März 2002 oben und unten). Hiervon unterscheidet sich der Streitfall indessen nach dem Dargelegten maßgeblich.
2. Bei der nunmehr zu treffenden Entscheidung wird der Verwaltungsgerichtshof vor allem den auch vom beschließenden Senat für maßgeblich gehaltenen Fragen (nochmals) nachgehen müssen, ob die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 21. März 2002 über - erstens - die Berücksichtigungsbedürftigkeit der Zahl der beabsichtigten Niederlassungen (S. 7 des Beschlusses) sowie - zweitens - die Maßgeblichkeit der Aufnahme der Überwachungstätigkeit für die personellen Voraussetzungen (S. 8 des Beschlusses) auch im Streitverfahren Beachtung beanspruchen (oder ob sie auf das ausgelaufene Recht beschränkt zu verstehen sind).
Der Verwaltungsgerichtshof wird sich auch erneut der Frage stellen müssen, was gegebenenfalls die Folge wäre, wenn die Klägerin ab der Antragstellung die Voraussetzungen nach dem ausgelaufenen Recht erfüllt haben sollte.