Beschluss vom 02.07.2004 -
BVerwG 8 B 10.04ECLI:DE:BVerwG:2004:020704B8B10.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.07.2004 - 8 B 10.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:020704B8B10.04.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 10.04

  • VG Magdeburg - 18.11.2003 - AZ: VG 5 A 167/03 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juli 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a g e n k o p f und G o l z e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 18. November 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
Die von den Klägern geltend gemachte Grundsatzrüge ist nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn die Beschwerde eine Rechtsfrage aufwirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder der Fortentwicklung des Rechts zu dienen vermag. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage dieser Art ist in der Beschwerde nicht gestellt worden.
Die Beschwerde hält folgende Fragen für höchstrichterlich nicht geklärt:
"Erstens: Ob eine nationalsozialistische Individualverfolgung in der Nichtigkeitsfeststellung eines Adoptionsvertrages, welche auf der Grundlage des Gesetzes gegen Missbräuche der Eheschließung und der Annahme an Kindesstatt vom 23.11.1933 herbeigeführt wurde und der daraus resultierenden Rechtsfolgen: (hier: Entziehung der Apothekenkonzession) anzuerkennen ist und ob hierdurch die Opferstellung des Adoptivkindes im Sinne der national-sozialistischen Individualverfolgung begründet werden kann und
Zweitens: Welche Anforderungen an den Beweis der Judeneigenschaft bzw. der Verdächtigung, der jüdischen Glaubensgemeinschaft zugewandt zu sein, im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gerechtigkeitsgebot zu stellen sind und wer als "Jude" vor dem Erlass der Nürnberger Gesetze, d.h. vor 1935 und damit vor der nationalsozialistischen Definierung galt und verfolgt wurde."
Diese von der Beschwerde in kumulativer Weise verknüpften Fragen werden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
Denn das Verwaltungsgericht hat, ohne dass dies mit durchgreifenden Verfahrensrügen seitens der Beschwerde angegriffen worden ist, festgestellt, dass die Rechtsvorgängerin der Kläger, Frau W. H. "weder jüdischen Glaubens noch jüdischer Abstammung" war (vgl. UA S. 4). Zugleich hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass auch der die Rechtsvorgängerin 1930 adoptierende Apotheker E. R. ebenfalls nicht jüdischer Abstammung war (vgl. UA S. 4). Diese nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts finden u.a. ihre Bestätigung in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten. Nach dem Schreiben des Bergwerkdirektors Bergassessor Dr. L. vom 27. August 1934 (BA II S. 384) hat es sich bei der Rechtsvorgängerin der Kläger offenbar um ein "evangelisches Mädchen gehandelt, dessen Konfirmation nach der Abschrift der Wirtschaftlichen Frauenschule von Neudietendorf vom 23.10.1934 für Ostern 1935 vorgesehen war" (BA II S. 388, 389). Ausweislich der von der Verwaltung der Universitätsfrauenklinik München vom 8. April 1919 erstellten Urkunde für das Geburtsregister ist unter der Rubrik: "Religion der Eltern <der W. H.>: beide potestantisch" angegeben.
Für den adoptierenden Apotheker E. R., der am 19. August 1855 geboren ist, findet sich eine Eintragung im Kirchbuch des evangelisch-lutherischen Pfarramts in Lauenförde (BA II Bl. 538 a), wonach der Genannte zu Palmarum am 10. April 1870 als Sohn des Pastors R. konfirmiert worden ist.
Unter diesen Umständen könnte sich die erste Frage nur mit der Einschränkung stellen, ob die Anwendung des Gesetzes gegen Missbräuche der Eheschließung und der Annahme an Kindesstatt vom 23. November 1933 auch dann eine individuelle Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG darstellt, wenn die Betroffenen nicht zu dem aus Gründen der Rasse verfolgten Personenkreis gehörten. Dies kann man auch dann ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ausschließen, wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass das Gesetz in erster Linie auf der NS-Ideologie beruhte. Denn in der bloßen Annullierung einer Annahme an Kindes statt ist unabhängig von ihrem möglichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze noch keine "Verfolgung" zu sehen. Dies gilt insbesondere in dem vorliegenden Fall, in dem das Verwaltungsgericht auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür festgestellt hat, dass eine "Verdächtigung", dem verfolgten Personenkreis anzugehören, in dem Verfahren eine Rolle gespielt hat.
Auch die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Zum einen liegt kein Verstoß gegen die Hinweispflicht im Sinne des § 86 Abs. 3 VwGO vor. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2003 ausweislich der Niederschrift über diese mündliche Verhandlung sich mit der Frage der Nichtigkeit der Adoption aus verfolgungsfreien Motiven befasst. Der gerichtliche Hinweis auf das Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. H. vom 21. August 1934 belegt, dass die Gründe für eine etwaige Scheinadoption durch den schwer erkrankten und kurz nach der Adoption verstorbenen 74-jährigen Adoptivvater vom Verwaltungsgericht erörtert worden sind. Bereits auf Grund dieses Hinweises des Verwaltungsgerichts hätte für die anwaltlich vertretenen Kläger Anlass bestanden, weitere Tatsachen für eine vermeintliche Verfolgungsbedingtheit der Annullierung der Annahme an Kindes statt vorzubringen.
Ohne Erfolg bleibt auch die Aufklärungsrüge der Kläger. Wird nämlich eine Beschwerde auf die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung gestützt, so gehört es schon zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Verfahrensmangels, dass dargelegt wird, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Tatsachengericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches mutmaßliche Ergebnis die Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Beweisanträge sind ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung seitens der anwaltlich vertretenen Kläger nicht gestellt worden. Hinzu kommt, dass die Beschwerde letztlich verkennt, dass die von ihr vermissten "Ermittlungen über die damalige Gesetzeslage" und deren mögliche Anwendbarkeit keine Frage der Tatsachenermittlung ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 14, 13 GKG.