Beschluss vom 02.04.2007 -
BVerwG 8 B 75.06ECLI:DE:BVerwG:2007:020407B8B75.06.0

Beschluss

BVerwG 8 B 75.06

  • VG Greifswald - 08.06.2006 - AZ: VG 6 A 1555/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. April 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 8. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 250 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde zunächst eine Verletzung des § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO, da das Verwaltungsgericht nicht in der vorschriftsmäßigen Besetzung über den Befangenheitsantrag entschieden habe. Diese Rüge ist schon unzulässig. Das ergibt sich aus § 173 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO. Danach unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht diejenigen Entscheidungen, die nach den prozessualen Vorschriften unanfechtbar sind. Das ist hier wegen der Regelung in §§ 173, 152 Abs. 1 VwGO, § 46 Abs. 2 ZPO, § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG der Fall. Dementsprechend kann die Frage der Befangenheit als ein Verfahrensmangel nicht geltend gemacht werden (stRspr, vgl. nur: Beschluss vom 14. Mai 1999 - BVerwG 4 B 21.99 - NVwZ-RR 2000, 260).

3 Es scheidet auch ein - bei wohlwollender Auslegung - möglicherweise von der Beschwerde geltend gemachter, dann aber kaum hinreichend bezeichneter Verstoß unmittelbar gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Dieser ist nämlich nicht schon immer dann gegeben, wenn ein Befangenheitsgrund erkennbar wird, der im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO geeignet gewesen wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der die gebotene Neutralität und Distanz zu den Verfahrensbeteiligten vermissen lässt (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1967 - 2 BvR 235/64 - BVerfGE 21, 139 <146>), reicht nicht so weit, dass sie den Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO verfassungsunmittelbar vorgeben würde. Nur dann, wenn ein Richter unter eindeutiger Missachtung dieser Verfahrensvorschriften tätig wird und sonst nur noch dann, wenn der tätig gewordene Richter tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erschiene, ist ein Verstoß unmittelbar gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben (vgl. Urteil vom 16. April 1997 - BVerwG 6 C 9.95 - DVBl 1997, 1235 <1236>). Willkür in diesem Sinne setzt voraus, dass die Entscheidung des Gerichts bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint und offenbar unhaltbar wäre (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <49>).

4 Für eine derartige willkürliche Entscheidung spricht im vorliegenden Fall nichts. Auch wenn für den Bereich des Verwaltungsprozessrechts eine Kammerzuständigkeit für Entscheidungen über die Ablehnung des Einzelrichters angenommen wird, wie das der Bundesgerichtshof in den Fällen des § 348 und § 348a ZPO bejaht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2006 - V ZB 194/05 - NJW 2006, 2492 f.), ist eine Entscheidung über das Befangenheitsgesuch durch den Vertreter des abgelehnten Einzelrichters jedenfalls nicht willkürlich (ebenso Hess. VGH, Beschluss vom 27. Februar 1996 - 13 UZ 1851/95 - NVwZ 1997, 311 f.; OVG NRW, Beschluss vom 6. August 1999 - 23 A 58/98 A - DVBl 1999, 1671 - nur Leitsatz). Das zeigt allein schon der für den Bereich des Zivilprozessrechts bestehende Meinungsstreit zu § 45 Abs. 1 ZPO, den der BGH in der genannten Entscheidung aufgeführt hat. Die Frage, ob die Kammer ohne den abgelehnten Einzelrichter oder der Vertreter des abgelehnten Einzelrichters im Zivilprozess für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zuständig ist, ist gerade in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur umstritten gewesen. Erst durch den genannten Beschluss des BGH vom 6. April 2006 ist hier eine Klärung eingetreten. Gibt es aber zu einer prozessualen Frage unterschiedliche Rechtsprechung, so ist es schon vom Ansatz nicht willkürlich, wenn ein Gericht einer bestimmten vertretenen Rechtsmeinung folgt.

5 Die Beschwerde macht weiterhin zu Unrecht als Verfahrensfehler geltend, das Verwaltungsgericht habe verfehlterweise „nach einer Wiedereröffnung“ der mündlichen Verhandlung entschieden. Der damit gerügte Verstoß gegen § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO liegt nicht vor.

6 Die für das Urteil maßgebliche mündliche Verhandlung wurde am 8. Juni 2006 eröffnet (§ 103 Abs. 1 VwGO) und am selben Tag geschlossen (§ 104 Abs. 3 Satz 1 VwGO), ohne dass eine Wiedereröffnung stattfand. Der gesamte Prozessablauf und der Inhalt des Protokolls über die mündliche Verhandlung verdeutlichen dies. Die Beteiligten waren durch Verfügung des zuständigen Einzelrichters vom 6. April 2006 zum ursprünglichen Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2006 geladen worden. Der ursprüngliche Verhandlungstermin wurde dann auf Wunsch der Prozessbevollmächtigten der Kläger verlegt. Nach dessen Verlegung auf den 8. Juni 2006 beantragten diese mit Schriftsatz vom 29. Mai 2006 die Aufhebung dieses Termins „zwecks Reduzierung der mit einer mündlichen Verhandlung verbundenen Verfahrenskosten“. Stattdessen sollte nach ihrer Meinung nunmehr durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Diesen Wunsch lehnte der zuständige Einzelrichter in einem Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 1. Juni 2006 ab. Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2006 stellten die Kläger daraufhin den Befangenheitsantrag bezüglich des Einzelrichters T. Ausweislich einer Aktennotiz vom 8. Juni 2006, die vom Einzelrichter T. gefertigt wurde, teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger ausdrücklich mit, dass er zum anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juni 2006 nicht erscheinen werde.

7 Ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 8. Juni 2006 wies die Richterin am VG H. als Einzelrichterin anstelle des Richters am VG T. den Befangenheitsantrag mit begründetem Beschluss zurück und teilte den Beteiligten mit, dass die mündliche Verhandlung am selben Tage um 11.45 Uhr fortgesetzt werde. Daraufhin ist im Protokoll vermerkt: Die mündliche Verhandlung wird geschlossen. Aus der einheitlichen Sitzungsniederschrift geht sodann weiterhin hervor, dass die mündliche Verhandlung „erneut eröffnet“ wurde, diesmal durch den ursprünglich abgelehnten Richter am VG T. Die Sache ist erneut aufgerufen worden, wobei dann nach Schluss der mündlichen Verhandlung und geheimer Beratung der Wiederaufruf der Streitsache um 12.00 Uhr erfolgte, woran sich die Verkündung des streitigen Urteils anschloss.

8 Bei einer derartigen Verfahrensweise handelt es sich nicht um eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Sinne des § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO, wie die Beschwerde zu Unrecht meint. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Klägers musste zwar nicht aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehen. Es handelte sich dabei nämlich um ein Zwischenverfahren, das mit der Hauptsache selbst nicht identisch ist. Nachdem der Befangenheitsantrag dann aber sinnvollerweise in der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung, zu der alle Prozessbeteiligten ordnungsgemäß geladen waren, aber die Prozessbevollmächtigten der Kläger ausdrücklich ihr Fernbleiben angekündigt hatten, rechtswirksam zurückgewiesen worden war, konnte die mündliche Verhandlung durch den Richter am VG T. beginnen.

9 Auch ein von der Beschwerde nur allgemein angesprochener Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO ist nicht ersichtlich, da das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf die von den Beteiligten schriftsätzlich vorgetragenen Gesichtspunkte gestützt hat und die Heranziehung des entscheidungstragenden § 121 VwGO für die Kläger auf der Hand lag.

10 2. Ferner greift die von der Beschwerde erhobene Grundsatzrüge nicht durch. Wenn die Beschwerde formuliert: „Es wird im Übrigen und auch deswegen namens der Kläger gebeten, die Revision wegen der Gründe des Beschlusses des BVerwG vom 31.03.2004 - 7 B 11.04 - S. 9 des Entscheidungsumdrucks wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen“, so genügt ein solches Vorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen. Die auf dieser Seite des Beschlussabdrucks erfolgte „Anmahnung“ der Verwaltungsgerichte bezüglich der Beachtung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO bietet keinen Boden, um eine entscheidungserhebliche, abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifendem Gewicht zu klären, deren Formulierung sich die Beschwerde zudem erspart hat.

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 GKG.