Beschluss vom 01.12.2004 -
BVerwG 7 B 134.04ECLI:DE:BVerwG:2004:011204B7B134.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.12.2004 - 7 B 134.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:011204B7B134.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 134.04

  • VG Greifswald - 27.05.2004 - AZ: VG 6 A 1169/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und K r a u ß
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 27. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die Feststellung ihrer vermögensrechtlichen Berechtigung hinsichtlich eines Gutes einschließlich der dazugehörigen Nebengüter sowie eines Brennereibetriebes. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil der Vermögensverlust ihres Rechtsvorgängers nicht auf einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes - VermG - beruhe, sondern Folge einer besatzungshoheitlichen Enteignung sei, auf die das Vermögensgesetz gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht anwendbar sei.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch sind die von den Klägern nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel erkennbar (2.).
1. Die Kläger halten für klärungsbedürftig,
ob ein Vermögenswert gemäß § 1 Abs. 6 VermG "in anderer Weise" entzogen ist, wenn der nationalsozialistische Staat oder eine seiner Untergliederungen nach der politisch motivierten Verhaftung des Eigentümers des Vermögenswerts gegen dessen Willen einen Zwangsverwalter für den Vermögenswert einsetzt und dieser Zustand über das Kriegsende hinaus anhält.
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; denn sie lässt sich nicht generell, d.h. über den Fall hinausweisend beantworten, vielmehr bestimmt sich die eigentumsentziehende Wirkung einer solchen Maßnahme nach den Umständen des Einzelfalls. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes keine bestimmte Form des Zugriffs voraussetzt, sondern immer dann anzunehmen ist, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist (Urteil vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - BVerwGE 104, 84 <87> m.w.N.; stRspr). Dieser faktische Enteignungsbegriff, der wegen seiner Offenheit auch die von den Klägern angeführte Eigentumsentziehung "auf andere Weise" umfasst, gilt auch in den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG (Beschluss vom 17. Januar 1997 - BVerwG 7 B 298.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 100). Ausgehend von diesem Begriffsverständnis hängt die Antwort auf die von den Klägern als grundsätzlich bezeichnete Frage davon ab, ob sich ihr Rechtsvorgänger mit seiner Verhaftung und der Einsetzung des Zwangsverwalters als endgültig oder - wie das Verwaltungsgericht es ausdrückt - als auf Dauer aus seinem Eigentum verdrängt betrachten musste. Die Endgültigkeit oder Dauerhaftigkeit einer solchen Maßnahme lässt sich jedoch nur unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Eigentumszugriffs beurteilen. Insoweit stellt sich die Grundsatzrüge der Kläger in der Tat als Angriff auf die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichts dar, wie die Beklagte zu Recht geltend macht.
2. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängel rechtfertigen ebenso wenig die Zulassung der Revision.
a) Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen, indem es
- die Ereignisse des 30. Juni 1934 verharmlosend dargestellt habe,
- denkfehlerhaft angenommen habe, der Rechtsvorgänger der Kläger sei im Rahmen einer lediglich "regionalen Auseinandersetzung" verfolgt worden,
- bei der Entwicklung seiner Hypothese, der Zwangsverwalter sei auf der Grundlage der Verordnung zur Sicherung der Landbewirtschaftung als Treuhänder eingesetzt worden, zumindest sei eine solche Einsetzung nicht unplausibel, gegen die Denkgesetze verstoßen habe und
- die Dauerhaftigkeit der Eigentumsentziehung denkfehlerhaft verneint habe,
ist nicht berechtigt. Die Kläger verkennen, dass die Sachverhalts- und Beweiswürdigung grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen ist. Mit dagegen gerichteten Angriffen lässt sich daher in aller Regel die Zulassung der Revision nicht erreichen (Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266), es sei denn, der gerügte Verstoß betrifft allein den Tatsachenbereich (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271). Aber selbst dann kann eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nur festgestellt werden, wenn dem Gericht ein Verstoß gegen die Denkgesetze unterläuft oder die der Überzeugungsbildung zugrunde liegenden Tatsachen willkürlich ausgewählt werden und dadurch wesentlicher Akteninhalt unberücksichtigt bleibt. Es reicht daher nicht aus, die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts in Zweifel zu ziehen und ihr die eigene Sicht der Dinge entgegenzusetzen, wie es die Kläger in weiten Teilen ihrer Beschwerdebegründung unternehmen. Zwar werfen sie dem Gericht in mehrfacher Hinsicht auch einen Verstoß gegen die Denkgesetze vor. Insoweit mag aber dahingestellt bleiben, ob dieser Vorwurf sich in allen Fällen auf die Tatsachenebene beschränkt und die rechtliche Subsumtion unberührt lässt; denn das Beschwerdevorbringen erfüllt durchweg nicht die Voraussetzungen, die für die Annahme einer Verletzung der Denkgesetze erforderlich sind. Von einem solchen Verfahrensverstoß durch unrichtige Schlussfolgerungen kann ausschließlich dann gesprochen werden, wenn nur eine einzige Folgerung möglich, jede andere aber aus denkgesetzlichen Gründen schlechterdings unmöglich ist, und wenn das Gericht einen in diesem Sinne allein denkbaren Schluss nicht gezogen hat. Es reicht demgemäß nicht aus, dass das Gericht eine Würdigung der tatsächlichen Umstände vorgenommen hat, die nicht zwingend ist und nach den Vorstellungen der Kläger anders hätte ausfallen müssen (Urteil vom 19. Januar 1990, a.a.O. S. 273), oder sogar Schlüsse gezogen hat, die nicht überzeugend oder sogar unwahrscheinlich sind (Beschluss vom 24. Mai 1996 - BVerwG 8 B 98.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270).
Denkfehler in diesem Sinne zeigen die Kläger nicht auf. Vielmehr versuchen Sie, in der Art einer Berufungsbegründung darzulegen, warum allein ihre Würdigung der Geschehensabläufe plausibel ist, ohne dass sich aus ihrem Vortrag ergibt, dass die von ihnen bekämpften Schlussfolgerungen des Gerichts schlechterdings unmöglich sind.
Auch der Vorwurf, das Gericht habe bei der Überzeugungsbildung wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen, ist nicht berechtigt. Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht bestimmte Tatsachen, wie beispielsweise die Umstände der Verwalterbestellung in den Jahren 1942 einerseits und 1944 andererseits (vgl. S. 26 der Urteilsgründe), anders bewertet als die Kläger (S. 12 Abs. 2 und 3 der Beschwerdebegründung) oder den Äußerungen des Reichsjustizministers (S. 18 der Urteilsgründe) einen anderen Stellenwert beimisst als die Kläger (S. 9 der Beschwerdebegründung), begründet noch keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Soweit die Kläger rügen, dass die Maßnahmen gegen den 2. Strafsenat des Reichsgerichts weder im Tatbestand des Urteils erwähnt noch in den Urteilsgründen bewertet worden seien, fehlt in ihrer Beschwerde bereits ein Hinweis darauf, ob und inwieweit diese Tatsache in das Verfahren eingebracht worden ist. Die Rüge genügt daher insoweit schon nicht den formalen Begründungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
b) Ebenso erfolglos bleiben muss schließlich die Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, indem es weiteren Vortrag zur Endgültigkeit des Vermögensentzugs abgeschnitten und keine weiteren Ermittlungen zum Rückkehrverbot des früheren Eigentümers auf seinem Gut angestellt habe.
Zur Begründung dieser Rüge haben die Kläger geltend gemacht: Sie hätten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass der frühere Eigentümer mit der Auflage aus dem Gestapogefängnis entlassen worden sei, nach Pommern und damit auf das Gut V. nicht mehr zurückzukehren. In diesem Zusammenhang hätten sie Gelegenheit haben sollen, innerhalb von zwei Monaten nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung weiter zur Endgültigkeit des Vermögensentzugs durch die Zwangsverwaltung vorzutragen. Daraufhin habe der Vertreter der Beigeladenen zu 1 auf eine Antragstellung mit dem Hinweis verzichtet, im derzeitigen Verfahrensstadium sei ein Antrag nicht erforderlich. Außerdem hätten sich alle Verfahrensbeteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Trotz des richterlichen Hinweises habe das Gericht am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht die entsprechenden verfahrensleitenden Verfügungen getroffen, sondern sogleich ein klageabweisendes Urteil verkündet.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 14. September 2004 zu einem Protokollberichtigungsantrag der Kläger, der denselben Sachverhalt wie diese Rüge zum Gegenstand hatte, zu dem Geschehensablauf in der mündlichen Verhandlung folgendes ausgeführt:
"Der durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger geschilderte Ablauf der mündlichen Verhandlung ist unzutreffend. Die Kläger haben vielmehr zum Ende der mündlichen Verhandlung auf einen in ihrem Besitz befindlichen Entlassungsschein, betreffend die Entlassung des Rechtsvorgängers der Kläger aus der Gestapohaft im Frühjahr 1945, hingewiesen, der nach ihrer Erinnerung die Auflage enthalten habe, nicht wieder nach Pommern zurückzukehren. Der Vorsitzende hat daraufhin sinngemäß erklärt, falls das Gericht eine Vorlage dieses Entlassungsscheines für erforderlich halte, bevor es zu einer Sachentscheidung kommen könne, so werde die Sache vertagt, die Vorlage des Entlassungsscheines von den Klägern erbeten sowie ein Schriftsatznachlass von 2 Monaten gewährt werden; weiterhin wurde angeregt, für diesen Fall auf die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zu verzichten und einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zuzustimmen."
Zu dieser substantiierten Schilderung vom Hergang der Geschehnisse, die den Klägern erst nach Fertigung ihrer Beschwerdebegründung zugegangen ist und die sich mit den Erinnerungen des Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten zum Ablauf
der mündlichen Verhandlung deckt (vgl. Schriftsatz vom 25. August 2004), haben
die Kläger sich nicht geäußert, obwohl sie zum Gegenvorbringen der Beklagten mit Schriftsatz vom 3. November 2004 nochmals Stellung genommen haben. Der Senat geht daher von der Richtigkeit der Darstellung des Verwaltungsgerichts aus, zumal die zu bewilligende Nachfrist von zwei Monaten nur Sinn hatte, wenn weiterer Vortrag unter Vorlage des Entlassungsscheins überhaupt entscheidungserheblich war. Ein Gehörsverstoß ist bereits aus diesem Grund nicht erkennbar. Er scheidet aber auch unabhängig davon deswegen aus, weil das Urteil nicht auf dem vermeintlichen Verstoß beruhen könnte; denn das Verwaltungsgericht hat für die Entscheidung als wahr unterstellt, dass der Rechtsvorgänger der Kläger mit der Auflage aus der Gestapohaft entlassen worden ist, nicht mehr nach Pommern zurückzukehren, so dass sich weiterer Vortrag hierzu erübrigte. Insoweit scheidet daher auch die gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts aus.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 sowie § 72 Nr. 1 GKG.