Beschluss vom 30.08.2017 -
BVerwG 2 B 25.17ECLI:DE:BVerwG:2017:300817B2B25.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.08.2017 - 2 B 25.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:300817B2B25.17.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 25.17

  • VG Düsseldorf - 15.12.2012 - AZ: VG 38 K 4444/11.BDG
  • OVG Münster - 18.01.2017 - AZ: OVG 3d A 273/13.BDG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. August 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Kenntner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Der 1963 geborene Beklagte ist Postbetriebsassistent im Dienst der Klägerin. Er war zuletzt als Mitarbeiter Service und Verkauf in einer Filiale der Postbank eingesetzt. Am 9. Dezember 2009 hob er ohne entsprechende Buchungen insgesamt 5 950 € von einem internen Geldautomaten ab, um sich ein "kurzfristiges Darlehen" zu verschaffen. Das Geld gab er für eigene Zwecke aus. Rund 2 500 € führte er in der Folgezeit zurück, sodass die Kasse am 8. Januar 2010 noch einen Fehlbetrag von 3 454 € aufwies. Das Amtsgericht ... verurteilte ihn durch Urteil vom 18. Oktober 2010 wegen Untreue zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

2 Auf die im Juli 2011 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

3 Es gebe keinen Anlass, sich von den bindenden Feststellungen des Strafurteils zu lösen. Der Vortrag des Beklagten zu den Gründen seines Verhaltens lasse die strafgerichtliche Annahme seiner Schuldfähigkeit nicht als offensichtlich fehlerhaft erscheinen. Neue Beweismittel, etwa ärztliche Bescheinigungen oder Atteste, habe der Beklagte - trotz mehrfacher entsprechender Hinweise der Klägerin im gerichtlichen Verfahren - nicht vorgelegt. Den Suizidversuch nach Abschluss des Strafverfahrens habe er nach eigenen Angaben deshalb unternommen, weil ihm die Tragweite seines Handelns im Disziplinarverfahren vor Augen geführt worden sei. Auch wenn man annehme, dass zum Zeitpunkt des Suizidversuchs - wobei unklar bleibe, wann genau dieser stattgefunden habe - und der anschließenden stationären Behandlung eine schwere depressive Episode vorgelegen habe, ermögliche dies mangels konkreter Angaben nicht die Annahme, dass eine solche auch zum Zeitpunkt der Tathandlungen vorgelegen habe. Der Beklagte habe, vom Tatvorwurf abgesehen, unbeanstandet Dienst getan und sei im engen zeitlichen Zusammenhang mit den Taten zum Mitarbeiter des Monats gewählt worden.

4 Der Beklagte habe mit der veruntreuenden Unterschlagung seine Pflicht verletzt, das ihm übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Der Orientierungsrahmen reiche nach der Strafandrohung bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und sei nach der Schwere des Dienstvergehens auszuschöpfen. Anerkannte Milderungsgründe seien nicht einschlägig, insbesondere könne nicht von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgegangen werden. Es gebe schon keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB. Außerdem sei eine etwaige hierauf beruhende Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten nicht erheblich gewesen. Der Vortrag des Beklagten, im Dezember 2009 sei in ihm der für ihn nicht mehr kontrollierbare Wunsch gewachsen, sich irgendwie einen Ausgleich für seine schwierigen Lebensumstände zu verschaffen, mache nicht nachvollziehbar, warum er sich diesen Ausgleich ausgerechnet durch die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder habe verschaffen müssen. Denn angesichts der leicht einsehbaren innerdienstlichen Kernpflicht habe von ihm erwartet werden können, dass er jedenfalls noch genügend Widerstandskraft gegen eine Verletzung dieser Kernpflicht aufbringe.

5 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

6 Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
"Stellt es einen Milderungsgrund im Rahmen der Prüfung nach § 13 Abs. 1 BDG dar, bei dessen Vorliegen in der Regel von der disziplinarischen Höchstmaßnahme nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG abzusehen ist, wenn das Motiv des Beamten für den Zugriff auf ihm im Kernbereich seiner Dienstpflichten anvertraute Gelder darin liegt, sich mittels Konsum eine emotionale Entlastung in einer psychisch erheblichen Belastungssituation zu verschaffen, die weder den Tatbestand des § 20 noch des § 21 StGB erfüllt? Gilt dies jedenfalls dann, wenn der Beamte unverschuldet in die psychische Belastungssituation geraten ist?",
kann nicht in verallgemeinerungsfähiger Form geklärt werden.

7 Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).

8 Die aufgeworfene Frage betrifft die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach Maßgabe des § 13 BDG, die sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls bestimmt und deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

9 3. Die Beschwerde ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

10 a) Das Berufungsgericht hat nicht dadurch seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, dass es zur Frage der - nach dem Vortrag des Beklagten: (völlig) fehlenden - Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Dienstvergehen keinen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben hat.

11 Im gerichtlichen Disziplinarverfahren haben die Tatsachengerichte nach § 58 Abs. 1 BDG grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 20). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz (BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2). Unterliegt das Disziplinargericht - wie hier hinsichtlich der Frage der Schuldunfähigkeit - gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG einer Bindung an tatsächliche Feststellungen eines Strafurteils, dann können sich Sachaufklärungspflichten im Rahmen der Prüfung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG ergeben, ob eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils zu erfolgen hat, weil diese offenkundig unrichtig sind.

12 Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen für eine Lösung von den strafgerichtlichen Feststellungen zur Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beklagten bei der Begehung des Dienstvergehens verneint. Insbesondere hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Beklagte neue Beweismittel - wie ärztliche Bescheinigungen oder Atteste -nicht vorgelegt habe. Zwar hat der Beklagte schriftsätzlich entsprechende Beweisanträge angekündigt, für die Annahme der eine Lösung von den strafgerichtlichen Feststellungen zur Schuldfähigkeit rechtfertigenden offenbaren Unrichtigkeit dieser Feststellungen hätte es aber zumindest der Vorlage entsprechender ärztlicher Begutachtungen bedurft.

13 Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn man dem Beschwerdevortrag entnehmen würde, dass auch die Verneinung verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) durch das Berufungsgericht als Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gerügt wird. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass es - mangels entsprechender ärztlicher Erkenntnisse - keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB gab. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, solche vorzulegen oder zumindest substantiiert hierzu vorzutragen.

14 Da die Verneinung einer verminderten Schuldfähigkeit auf dieser Erwägung beruht, wirkt es sich im Ergebnis nicht aus, dass eine weitere Erwägung des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang nicht tragfähig ist. Das Berufungsgericht hat seine Einschätzung, dass eine etwaige auf einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB beruhende Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten nicht erheblich gewesen sei, mit einer rechtsfehlerhaften Erwägung begründet. Es hat nämlich darauf abgestellt, dass der Vortrag des Beklagten, seinerzeit sei in ihm der für ihn nicht mehr kontrollierbare Wunsch gewachsen, sich irgendwie einen Ausgleich für seine schwierigen Lebensumstände zu verschaffen, nicht nachvollziehbar mache, warum er sich diesen Ausgleich ausgerechnet durch die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder habe verschaffen müssen; angesichts der leicht einsehbaren innerdienstlichen Kernpflicht hätte von ihm nämlich im Hinblick auf die Bedeutung dieser Pflicht erwartet werden müssen, dass er jedenfalls noch genügend Widerstandskraft gegen eine Verletzung dieser Kernpflicht aufbringe.

15 Diese Begründung ist nicht tragfähig, weil es - bei Unterstellung eines solchen Leidensdruckes - unerheblich ist, ob der Ausgleich durch die Begehung des Dienstvergehens erfolgen musste oder auch auf andere Weise hätte erfolgen können und auf welche Weise diese "Ventilfunktion" konkret erreicht wurde. Vor allem aber kann nicht ein "nicht mehr kontrollierbarer Wunsch" unterstellt, zugleich aber die Erwartung formuliert werden, dass noch genügend Widerstandskraft gegen die Erfüllung dieses Wunsches durch die konkrete Dienstpflichtverletzung vorhanden war. Wenn der Beklagte wegen des - unterstellten - Leidensdruckes ein "Ventil" benötigte und die Diebstähle ein solches "Ventil" waren, dann wäre dies im Rahmen der Prüfung einer verminderten Schuldfähigkeit unabhängig davon zu berücksichtigen oder nicht zu berücksichtigen, ob es auch noch andere "Ventile" gegeben hätte. Deshalb können aus der Wahl des "Ventils" auch keine Schlüsse für die Erheblichkeit einer Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gezogen werden. Da die Verneinung einer verminderten Schuldfähigkeit durch das Berufungsgericht aber entscheidungstragend - wie ausgeführt - bereits auf einen anderen Gesichtspunkt gestützt war, beruhte sie nicht auf dieser fehlerhaften Erwägung.

16 b) Das Berufungsgericht hat auch nicht dadurch, dass es zur Frage der - nach dem Vortrag des Beklagten: (völlig) fehlenden - Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Dienstvergehen keinen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben hat, gegen seine Pflicht zur rechtsfehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen.

17 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also beispielsweise entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Die Einhaltung der verfahrensmäßigen Verpflichtungen des Tatsachengerichts ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat jedoch dann den Charakter eines Verfahrensfehlers, wenn das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2017 - 2 B 2.16 - Rn. 15 m.w.N.).

18 Da - wie ausgeführt - die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens die gerichtliche Sachaufklärungspflicht nicht verletzt hat, geht das angegriffene Berufungsurteil auch nicht von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt aus und verstößt deshalb auch nicht gegen die Pflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur rechtsfehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung.

19 c) Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur rechtsfehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch nicht dadurch verletzt, dass es - so die Beschwerde - unberücksichtigt gelassen habe, dass das Motiv des Beklagten für sein Dienstvergehen nicht finanzieller Eigennutz gewesen sei, sondern auf die psychisch/emotionale Entlastung in einer psychischen Belastungssituation gezielt habe.

20 Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Prüfung einer verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten (S. 25 f. des Berufungsurteils) es als nicht nachvollziehbar angesehen, warum der Beklagte sich den von ihm gewünschten Ausgleich für seine schwierigen Lebensumstände ausgerechnet durch die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder habe verschaffen müssen. Damit hat es dieses Motiv bereits im Rahmen dieser Prüfung im Tatsächlichen zugrunde gelegt. Im Rahmen der Prüfung von sonstigen Milderungsgründen (S. 26 ff.) hat es gleichfalls die vorgetragene Krise in der Lebenspartnerschaft des Beklagten und seine berufliche Frustration berücksichtigt (Berufungsurteil S. 27 unter c). Damit hat das Berufungsgericht durchaus die vom Beklagten vorgetragene Motivation für sein Dienstvergehen berücksichtigt. Dass es ihm keine durchgreifende maßnahmemildernde Wirkung beigemessen hat, bewegt sich im Rahmen des dem Disziplinargericht nach § 13 BDG zustehenden Spielraums und verstößt nicht gegen die Pflicht zur richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

21 d) Schließlich sieht die Beschwerde zu Unrecht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) darin, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO nicht darauf hingewiesen habe, dass es dem Beweisangebot des Beklagten zu seiner behaupteten Steuerungsunfähigkeit bei der Tatbegehung nicht nachzugehen beabsichtige.

22 Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (BVerfG, Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Hieraus ergibt sich zwar keine allgemeine Frage- oder Aufklärungspflicht des Richters. Ein Gericht verstößt aber dann gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204>, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.> und BVerwG, Beschluss vom 12. November 2014 - 2 B 67.14 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 30 Rn. 10).

23 Nach § 86 Abs. 2 VwGO kann ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nur durch einen Gerichtsbeschluss, der zu begründen ist, abgelehnt werden. § 86 Abs. 3 VwGO verpflichtet den Vorsitzenden darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

24 Im vorliegenden Fall hat der anwaltlich vertretene Beklagte in beiden gerichtlichen Instanzen schriftsätzlich einen Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der behaupteten Steuerungsunfähigkeit bei der Tatbegehung gestellt bzw. auf entsprechenden früheren Vortrag Bezug genommen. Dies war vom Berufungsgericht zu bescheiden, aber - wie § 86 Abs. 2 VwGO zeigt - nicht notwendig durch Beschluss. Der anwaltlich vertretene Beklagte konnte also keineswegs davon ausgehen, dass das Unterbleiben eines Hinweises darauf, dass das Berufungsgericht nicht beabsichtige, den schriftsätzlich beantragten Sachverständigenbeweis zu erheben, die Schlussfolgerung zuließ, dass es beabsichtigte, die Beweiserhebung vorzunehmen. Dies galt umso mehr, als ein entsprechender Beweisbeschluss in der mündlichen Verhandlung nicht ergangen ist. Ein anwaltlich vertretener Beklagter, dem daran gelegen ist, in der mündlichen Verhandlung Klarheit über die Einschätzung des Gerichts zur Notwendigkeit einer Beweisaufnahme zu erlangen, muss in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag stellen oder zumindest um einen entsprechenden Hinweis des Gerichts bitten. Es obliegt nicht dem Gericht, unaufgefordert einen rechtlichen Hinweis zu geben, zumal durchaus denkbar und vielfach sogar naheliegend ist, dass sich das Gericht erst in der Urteilsberatung nach der mündlichen Verhandlung abschließend zur Frage der Notwendigkeit einer Beweiserhebung verständigt. In einer solchen Situation verletzt das Gericht das rechtliche Gehör des Betroffenen nicht schon dadurch, dass es in der mündlichen Verhandlung noch keine abschließende Rechtsansicht zur Notwendigkeit der Beweiserhebung kundtut.

25 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.