Beschluss vom 13.07.2017 -
BVerwG 2 B 35.17ECLI:DE:BVerwG:2017:130717B2B35.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.07.2017 - 2 B 35.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:130717B2B35.17.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 35.17

  • VG Stuttgart - 11.03.2016 - AZ: VG 3 K 3541/15
  • VGH Mannheim - 22.03.2017 - AZ: VGH 4 S 791/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. März 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 299,44 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

2 1. Der 1953 geborene Kläger stand als Obergerichtsvollzieher im Dienst des Beklagten. Auf seinen Antrag hin wurde er mit Ablauf des Juli 2014 im Hinblick auf seine Schwerbehinderung in den Ruhestand versetzt. Unter Hinweis darauf, dass der Kläger die für ihn maßgebliche Regelaltersgrenze erst mit 63 Jahren und zwei Monaten erreicht hätte, reduzierte der Beklagte den Ruhegehaltsatz wegen des zu berücksichtigenden Zeitraums vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2017 um insgesamt 9 v.H. (2,5 Jahre x 3,6 v.H.). Hiergegen erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, auf ihn müsse die besondere Altersgrenze angewendet werden, die für Beamte des Polizeivollzugsdienstes und des Einsatzdienstes der Feuerwehr gelte. Dementsprechend sei der Ruhegehaltssatz nicht zu reduzieren. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:

3 Der Kläger gehöre als Gerichtsvollzieher nicht zum Kreis von Beamten, für die § 36 Abs. 3 LBG BW die Reduzierung der Altersgrenze vorsehe. Dementsprechend sei für ihn die Regelaltersgrenze des § 36 Abs. 1 LBG BW maßgeblich. Denn die besondere Altersgrenze gelte lediglich für Beamte des Polizeivollzugsdienstes, des allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes bei den Justizvollzugseinrichtungen sowie des Einsatzdienstes der Feuerwehr. Eine analoge Anwendung der Sonderregelung des § 36 Abs. 3 LBG BW auf die Gruppe der Gerichtsvollzieher scheide aus. Sonderregelungen seien grundsätzlich nicht analogiefähig und zudem fehle es hier an der für eine analoge Anwendung erforderlichen Gesetzeslücke. Ob die Regelung des § 36 LBG BW wegen willkürlicher Ungleichbehandlung zulasten der Gerichtsvollzieher verfassungswidrig sei, könne dahingestellt bleiben. Denn selbst bei einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne das Bundesverfassungsgericht der nicht berücksichtigten Beamtengruppe die Begünstigung grundsätzlich nicht zusprechen. Das Bundesverfassungsgericht könnte auf eine Richtervorlage allenfalls die begünstigende Vorschrift für nichtig erklären oder feststellen, dass die Nichtberücksichtigung einzelner Gruppen verfassungswidrig sei. Eine Erstreckung der Begünstigung auf eine ausgeschlossene Gruppe komme allenfalls dann in Betracht, wenn mit Sicherheit anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber bei Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG eine solche Regelung getroffen hätte. Hier spreche die Gesetzessystematik gerade dafür, dass der Gesetzgeber ganz bewusst nur die in den § 36 Abs. 2 bis 4 sowie §§ 37 und 38 LBG BW genannten Berufsgruppen habe regeln wollen. Zudem bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber seinen weiten politischen Gestaltungsspielraum dadurch überschritten habe, dass er die Gruppe der Gerichtsvollzieher nicht in den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 3 LBG BW einbezogen habe.

4 2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde des Klägers beimisst.

5 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>).

6 Die in der Beschwerde formulierte Frage,
"ob ein Fachgericht aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet ist, einen Rechtsstreit gemäß § 94 VwGO auszusetzen und die Verfassungsgemäßheit einer Norm im Wege einer konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht oder ggf. durch ein Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, wenn der Kläger auch bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Norm die begehrte Leistung nicht direkt erhält, sondern zunächst noch ein Handeln des Gesetzgebers erforderlich ist",
vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen. Die Frage kann aufgrund des Wortlauts des Grundgesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.

7 Wie sich der Beschwerdebegründung entnehmen lässt, zielt die Fragestellung auf eine denkbare Sachlage für eine Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ab, die nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aber gerade ausgeschlossen ist.

8 Im angestrebten Revisionsverfahren soll nach der Beschwerdebegründung geklärt werden, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens ein Fachgericht dazu verpflichtet, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, wenn gewichtige Anhaltspunkte für dessen Verfassungswidrigkeit bestehen. Aus dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist aber unmittelbar zu schließen, dass das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt sein muss. Denn das Gericht muss das Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für "verfassungswidrig halten". Damit setzt Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung voraus. Das vorlegende Gericht muss die für diese Überzeugung maßgeblichen Erwägungen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Vorlagebeschluss nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 1963 - 2 BvL 8/63 - BVerfGE 16, 82 <88>, vom 10. Mai 1988 - 1 BvL 8/82, 1 BvL 9/82 - BVerfGE 78, 165 <171 f.> und vom 1. April 2014 - 2 BvL 2/09 - BVerfGE 136, 127 Rn. 45 m.w.N.). Das Berufungsgericht geht aber gerade davon aus, dass der Landesgesetzgeber bei der Entscheidung, die Gruppe der Gerichtsvollzieher nicht in den Anwendungsbereich des § 36 Abs. 3 LBG BW einzubeziehen, die Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten hat.

9 Mit diesen Vorgaben des Grundgesetzes ist es unvereinbar, das Fachgericht bereits dann zur Aussetzung des Verfahrens und zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG als verpflichtet oder auch nur als berechtigt anzusehen, wenn es selbst von der Verfassungsmäßigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes ausgeht und die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes lediglich von einem Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht wird.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG (dreifacher Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung).