Beschluss vom 21.12.2017 -
BVerwG 8 B 70.16ECLI:DE:BVerwG:2017:211217B8B70.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.12.2017 - 8 B 70.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:211217B8B70.16.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 70.16

  • VG Saarlouis - 24.03.2015 - AZ: VG 1 K 2129/13
  • OVG Saarlouis - 05.10.2016 - AZ: OVG 1 A 188/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Dezember 2017
durch die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, Hoock und Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung. Mit Bescheid vom 5. Januar 2012 untersagte ihm der Beklagte die Ausübung des Gewerbes "Altmetallhandel", die Gewerbeausübung generell sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und die Tätigkeit als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei gewerberechtlich unzuverlässig, weil er angesichts aufgelaufener Steuerrückstände von mehr als 37 000 € nicht die Gewähr für eine ordnungsgemäße Betriebsführung biete. Am 2. Februar 2012 legte der Kläger Widerspruch ein, am 24. Februar 2012 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1. März 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers angeordnet und mit Beschluss vom 25. März 2013 (mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung) wieder aufgehoben. Mit Datum vom 25. März 2013 machte das Amtsgericht öffentlich bekannt, dass in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers durch Beschluss desselben Datums gemäß § 291 InsO die Restschuldbefreiung angekündigt worden sei. Für die Zeit ab dem 1. März 2012 hatte der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO die Freigabe des vom Kläger betriebenen Gewerbes aus dem Insolvenzverfahren angeordnet. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2013 wurde der Widerspruch des Klägers gegen die Gewerbeuntersagung zurückgewiesen. Seine Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil geändert und die ergangenen Bescheide aufgehoben, ohne die Revision zuzulassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

2 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungs-grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

3 Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,
ob die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) aufgrund der Ankündigung der Restschuldbefreiung zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht mehr auf die Schulden des Gewerbetreibenden, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen wegen Unzuverlässigkeit geführt haben, gestützt werden darf,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig, weil sie - soweit entscheidungserheblich - lediglich die Anwendung ausgelaufenen Rechts betrifft, nämlich die Anwendung des mit Ablauf des 30. Juni 2014 außer Kraft getretenen § 291 Insolvenzordnung a.F. (InsO a.F.), an dessen Stelle seither eine abweichende Regelung in § 287a InsO getreten ist.

4 Rechtsfragen zu ausgelaufenem oder auslaufendem Recht sowie zu Übergangsrecht kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil mit der Zulassung der Revision keine für die Zukunft richtungsweisende Klärung erreicht werden kann. Eine Zulassung der Revision kommt bei solchen Fragen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sie sich zu den Nachfolgevorschriften offensichtlich in gleicher Weise stellen oder wenn ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darlegungspflichtig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 10 B 10.16 - juris Rn. 3).

5 Das Oberverwaltungsgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids die Schulden des Klägers, die zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt haben, nicht mehr als Begründung für eine Gewerbeuntersagung herangezogen werden durften. Es hat dies tragend auf die Erwägung gestützt, dass das Amtsgericht bereits vor diesem Zeitpunkt nach § 291 InsO (in der bis zum 30. Juni 2014 geltenden Fassung) die Restschuldbefreiung angekündigt gehabt habe. In Anlehnung an zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2004 - AnwZ (B) 40/04 - juris Rn. 10 ff.) hat es ausgeführt, wegen der damit bereits konkret aufgezeigten Möglichkeit der Restschuldbefreiung sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids von geordneten Vermögensverhältnissen des Klägers auszugehen gewesen.

6 Nach dem Außerkrafttreten des § 291 InsO und der Neuregelung der Restschuldbefreiung zum 1. Juli 2014 würde sich diese Frage nicht mehr in gleicher Weise stellen. Nachdem durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) die Vorschrift des § 291 InsO mit Wirkung vom 1. Juli 2014 aufgehoben wurde, ist die dort bisher geregelte Ankündigung der Restschuldbefreiung durch einen am Ende des Insolvenzverfahrens ergehenden Beschluss des Insolvenzgerichts entfallen. Stattdessen stellt nunmehr das Insolvenzgericht im Falle eines zulässigen Restschuldbefreiungsantrags nach § 287a Abs. 1 InsO bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss fest, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 298 InsO nicht vorliegen. Im Unterschied zur Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO a.F. erfolgt der Beschluss gemäß § 287a InsO nicht nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens, sondern - als Eingangsentscheidung - bereits mit oder unmittelbar nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Restschuldbefreiung hat sich daher zum Zeitpunkt der Eingangsentscheidung noch nicht zu einer konkreten Aussicht verdichtet. Die Vermögensverhältnisse des Schuldners sind in diesem frühen Stadium noch nicht in vergleichbarer Weise geordnet wie im Fall eines angenommenen Schuldenbereinigungsplans, einer außergerichtlichen Tilgungsvereinbarung oder einer am Ende des Insolvenzverfahrens erfolgenden Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO a.F. (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 53/16 - juris Rn. 7 ff.). Soweit der Beklagte in der Beschwerdebegründung anderslautende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bezeichnet, hat dieser klargestellt, dass die darin in einem Klammerzusatz neben § 291 InsO a.F. angeführte Vorschrift des § 287a InsO nicht im Sinne einer Gleichstellung beider Vorschriften für die Wirkung der Ankündigung der Restschuldbefreiung zu verstehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 53/16 - juris Rn. 8). Schließlich legt der Beklagte auch nicht hinreichend dar, dass die Beantwortung der Frage für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist.

7 Die dritte mit der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage,
ob eine Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 GewO nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und erfolgter Ankündigung der Restschuldbefreiung zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht auf die zeitweilige Nichterfüllung bzw. die unzureichende Erfüllung steuerrechtlicher Mitwirkungs- und Erklärungspflichten gestützt werden darf, wenn solche Pflichtverstöße bis zum Zeitpunkt der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 InsO bestanden haben und danach nicht mehr festzustellen waren,
wäre im angestrebten Revisionsverfahren nur entscheidungserheblich, soweit sie sich auf eine Ankündigung der Restschuldbefreiung bezieht, die - wie hier - nach § 291 InsO a.F. vorgenommen wurde. Insoweit kommt ihr keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie ausgelaufenes Recht betrifft und sich nach aktueller Rechtslage (vgl. § 287a InsO) nicht in vergleichbarer Weise stellen würde. Das Berufungsurteil begründet die Unbeachtlichkeit der vor der (Insolvenzeröffnung und) Freigabeerklärung liegenden Verstöße des Klägers gegen steuerrechtliche Verhaltenspflichten mit der Erwägung, solche Pflichtverletzungen stünden typischerweise im Zusammenhang mit den für das Insolvenzverfahren ursächlichen wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten. Ihre Berücksichtigung bei der Prüfung der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO mache deshalb die durch § 291 InsO a.F. eröffnete Möglichkeit zunichte, schon durch die Ankündigung der Restschuldbefreiung wieder geordnete Vermögensverhältnisse herzustellen. Der Sache nach stützt das Oberverwaltungsgericht den mit der Grundsatzrüge angegriffenen Rechtssatz also auf den Sinn und Zweck des § 291 InsO a.F., der seines Erachtens nicht nur eine Berücksichtigung der bis zur Freigabe aufgelaufenen Steuerschulden verbietet, sondern auch eine Berücksichtigung der Verletzungen steuerrechtlicher Mitwirkungs- und Erklärungspflichten, die nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2 VwGO) typischerweise im Zusammenhang mit den zum Insolvenzverfahren führenden Steuerschulden stehen. Ob die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Regelungszweck des § 291 InsO a.F. und dessen Folgen für die Begründbarkeit einer Unzuverlässigkeit des Klägers zutreffen, ist eine Frage der Auslegung und Anwendung des mit Außerkrafttreten des § 291 InsO a.F. ausgelaufenen Rechts. Da die Neuregelung in § 287a InsO von § 291 InsO a.F. abweicht, würde sich die aufgeworfene Frage nach neuem Recht nicht in vergleichbarer Weise stellen und könnte ihre Klärung allenfalls noch für eine absehbare Zahl von Altfällen Bedeutung erlangen. Dazu kann auf die Darlegungen zur ersten angeblich rechtsgrundsätzlichen Frage verwiesen werden.

8 Schließlich rechtfertigt auch die weitere Frage,
ob eine Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 GewO nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht auf den Umstand der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestützt werden darf, wenn die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bereits ursächlich für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war und bereits zum Zeitpunkt der vom Insolvenzverwalter verfügten Freigabe des Gewerbebetriebes nach § 35 Abs. 2 InsO bestand,
nicht die Zulassung der Revision. Sie wäre in dieser Allgemeinheit in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht erheblich. Entscheidungserheblich wäre sie nur für den hier in Rede stehenden Sonderfall eines Abschlusses des Insolvenzverfahrens mit der Ankündigung einer Restschuldbefreiung nach § 291 InsO a.F. In diesem Fall wäre nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - unabhängig von dessen Ausführungen zu § 12 Satz 2 GewO - ein Rückgriff auf vor der Freigabe bestehende, zum Insolvenzverfahren führende Mängel der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schon ausgeschlossen, weil er dem Regelungszweck des § 291 InsO a.F. widerspräche. Insoweit beträfe die vom Beklagten aufgeworfene Frage - wie dargelegt - jedoch ebenfalls lediglich die Auslegung und Anwendung ausgelaufenen Rechts und könnte deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen.

9 Die Einwände des Beklagten gegen die berufungsgerichtliche Anwendung des § 12 Satz 2 GewO genügen nicht den Darlegungsanforderungen einer Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil sie keine auf diese Vorschrift bezogene Rechtsfrage des revisiblen Rechts formulieren. Im Übrigen käme es für die Revisionsentscheidung jedenfalls im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO) nicht darauf an, ob § 12 Satz 2 GewO nach seinem Wortlaut, seiner systematischen Stellung und seiner Entstehungsgeschichte (vgl. die Begründung zu Art. 1 des Gesetzentwurfs vom 10. Oktober 2012 - BT-Drs. 17/10961 S. 11) als Rückausnahme zu Satz 1 der Vorschrift im vorliegenden Fall voraussetzt, dass das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Dafür könnte sprechen, dass Satz 1 die Sperrwirkung (nur) für die Dauer des Insolvenzverfahrens und der weiteren in der Vorschrift genannten, hier jedoch nicht einschlägigen insolvenzrechtlichen Maßnahmen anordnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 8 C 6.14 - BVerwGE 152, 39 LS und Rn. 22 ff.). Die Frage müsste jedoch nicht geklärt werden, weil sich die Unzulässigkeit eines Rückgriffs auf die bis zur Freigabe eingetretenen Tatsachen nach den tragenden berufungsgerichtlichen, nicht mit wirksamen Rügen angegriffenen Feststellungen und Erwägungen jedenfalls aus der Unvereinbarkeit eines solchen Rückgriffs mit § 291 InsO a.F. ergäbe. Dass die Anwendung dieser außer Kraft getretenen Vorschrift keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung mehr zugänglich ist, wurde bereits dargelegt.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.