Beschluss vom 21.12.2017 -
BVerwG 4 BN 3.17ECLI:DE:BVerwG:2017:211217B4BN3.17.0

Leitsätze:

1. Zum Ordnungskonzept einer Konzentrationsflächenplanung für die Windenergie mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (hier: durch Regionalplan) gehört zum einen, dass sich die Windenergie in den Vorrang- und Eignungsgebieten gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen muss, zum anderen, dass die Privilegierung der Windenergie in den Ausschlussflächen zurücktritt, mit der Folge, dass dort andere Ansprüche an die Raumnutzung nicht durch die Windenergienutzung blockiert werden (stRspr).

2. Zu diesem Ordnungskonzept setzt sich eine Gemeinde mit der Festsetzung eines sonstigen Sondergebiets für die Windenergienutzung in den regionalplanerischen Ausschlussflächen in Widerspruch, ohne dass es darauf ankommt, ob dort Baufenster festgesetzt sind.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2
    BauGB § 1 Abs. 3, Abs. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2, § 9a, § 30 Abs. 1, 3, § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3
    BauNVO § 11 Abs. 2 Satz 2, § 23
    ROG a.F. § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 3

  • OVG Bautzen - 22.09.2016 - AZ: OVG 1 C 35/13

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.12.2017 - 4 BN 3.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:211217B4BN3.17.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 3.17

  • OVG Bautzen - 22.09.2016 - AZ: OVG 1 C 35/13

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Dezember 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Prof. Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. September 2016 ergangenen Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage,
ob die außergebietliche Ausschlusswirkung eines Vorrang- und Eignungsgebiets (§ 8 Abs. 7 Nr. 1 und Nr. 3 ROG <in der bis zum 28. November 2017 geltenden Fassung>) für eine bestimmte Raumnutzung in einem Regionalplan (hier: Windenergienutzung) bewirkt, dass eine auf der Ebene der Bauleitplanung erfolgende Festsetzung der Nutzungsart gemäß § 1 Abs. 2 und 3, § 11 Abs. 2 BauNVO (hier: Sondergebiet Windenergie) außerhalb des Umgriffs des Vorrang- und Eignungsgebiets unzulässig ist, wenn die Gemeinde durch andere Festsetzungen ("Baufenster") die Zulassung der (Windenergie-) Nutzung im Ausschlussbereich sperrt, d.h. die der Ausschlusswirkung unterfallenden Vorhaben bei einer Gesamtschau aller Festsetzungen (Art und überbaubare Grundstücksfläche etc.) im Ausschlussbereich bauplanungsrechtlich unzulässig sind.

3 Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie ist nicht klärungsbedürftig. Der vom Oberverwaltungsgericht (UA Rn. 50) angenommene Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB lässt sich auf der Grundlage vorhandener Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation bejahen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Zu Recht hat sich das Oberverwaltungsgericht auf den Standpunkt gestellt, dass es einer Gemeinde verwehrt ist, Flächen außerhalb eines zielförmig festgelegten Vorrang- und Eignungsgebiets zur Windenergienutzung mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB - jenseits der Grenzen zulässiger Konkretisierung - durch Bebauungsplan als Sondergebiet für die Nutzung von Windenergie gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a BauGB i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO festzusetzen.

4 Nach § 1 Abs. 4 BauGB sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. "Anpassen" im Sinne der Vorschrift bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1992 - 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <LS 1 und S. 332 f.>), dass die Ziele der Raumordnung in der Bauleitplanung zwar je nach dem Grad ihrer Aussageschärfe konkretisierungsfähig sind, nicht aber im Wege der Abwägung überwunden werden können. Sie sind in der Bauleitplanung als verbindliche Vorgaben hinzunehmen. Die planerischen Entscheidungen der Gemeinde müssen mit den Zielen der Raumordnung in Übereinstimmung gebracht werden.

5 Hieran fehlt es, wenn eine Gemeinde - wie hier die Antragsgegnerin - durch Bebauungsplan ein sonstiges Sondergebiet (§ 11 Abs. 1 und 2 BauNVO) mit der Zweckbestimmung "Windenergienutzung" festsetzt, das mehr als das zweifache derjenigen Flächen umfasst, die im Regionalplan zielförmig als Vorrang- und Eignungsgebiete mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB festgelegt worden sind.

6 Der Einwand der Beschwerde, die Gemeinde habe die Zulassung von Windenergienutzung im Ausschlussbereich des Regionalplans (abgesehen vom Anlagenstandort R 3) durch die Festsetzung von Baufenstern gesperrt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Allerdings kann die planende Gemeinde ein regionalplanerisch festgelegtes Vorrang- und Eignungsgebiet gerade auch hinsichtlich der Standorte einzelner Windenergieanlagen konkretisieren, wobei hierfür insbesondere die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen durch Baulinien und Baugrenzen im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 9a BauGB i.V.m. § 23 BauNVO in Betracht kommen wird. Gleichwohl führt das Fehlen von Baufenstern in denjenigen Teilen des festgesetzten Sondergebiets, die über das regionalplanerisch festgelegte Vorrang- und Eignungsgebiet für die Windenergienutzung hinausreichen, nicht dazu, dass der Bebauungsplan den Zielen der Raumordnung angepasst wäre, wie § 1 Abs. 4 BauGB dies fordert.

7 Der Bundesgesetzgeber hat der Raumordnung die Kompetenz zur zusammenfassenden, überörtlichen und fachübergreifenden Gesamtplanung verliehen und dies mit einem Koordinierungs-, Ordnungs- und Entwicklungsauftrag verbunden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 ROG). Dieser Auftrag zielt auf den Ausgleich konkurrierender Ansprüche an die Raumnutzung (BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 305). Macht ein regionaler Planungsträger von dem Planvorbehalt in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB Gebrauch, verlangt das Abwägungsgebot die Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzepts, das sich auf den gesamten Außenbereich erstreckt. Der Planvorbehalt versetzt den Planungsträger in die Lage, die bauliche Entwicklung privilegierter Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB im Außenbereich planerisch zu steuern (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 - BVerwGE 137, 74 Rn. 46 <zur Konzentrationsflächenplanung durch Flächennutzungsplan>). Die gesetzgeberische Privilegierungsentscheidung kommt zwar weiterhin, aber nur mehr nach Maßgabe der Vorstellungen des Planungsträgers zum Tragen. Deshalb muss die Planung nicht nur darüber Auskunft geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von privilegierten Vorhaben, hier Windenergieanlagen, freizuhalten (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <298> und vom 13. März 2003 - 4 C 3.02 - NVwZ 2003, 1261). Zum Ordnungskonzept der Konzentrationsflächenplanung für die Windenergie mit den Ausschlusswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB gehört deshalb zum einen, dass sich die Windenergie in den Vorrang- und Eignungsgebieten gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen muss (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - a.a.O. S. 294), zum anderen, dass die Privilegierung der Windenergie in den Ausschlussflächen zurücktritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 - a.a.O. Rn. 46), mit der Folge, dass andere Ansprüche an die Raumnutzung nicht durch die Windenergienutzung blockiert werden.

8 Zu diesem Ordnungskonzept setzt sich eine Gemeinde mit der Festsetzung eines sonstigen Sondergebiets für die Windenergienutzung in den regionalplanerischen Ausschlussflächen in Widerspruch, ohne dass es darauf ankäme, ob dort Baufenster festgesetzt sind. Bereits die Festsetzung der Windenergie als zulässige Art der baulichen Nutzung blockiert andere bauliche Nutzungen in den regionalplanerischen Ausschlussflächen. Selbst im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Qualifizierungsanforderungen des § 30 Abs. 1 BauGB nicht erfüllt, richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben gemäß § 30 Abs. 3 BauGB nach dessen Festsetzungen und nur im Übrigen nach § 34 oder § 35 BauGB. Soweit ein Bebauungsplan Festsetzungen enthält, verdrängt er die den gleichen Gegenstand betreffenden Anforderungen der §§ 34, 35 BauGB (BVerwG, Urteil vom 18. August 1964 - 1 C 63.62 - BVerwGE 19, 164 = juris Rn. 16 und Beschluss vom 24. März 2015 - 4 BN 30.13 - juris Rn. 28). Mit der Festsetzung eines Sondergebiets "Windenergie" hat die Antragsgegnerin die Art der baulichen Nutzung abschließend geregelt. Zulässig sind mithin nur die in Nr. 1.1 der textlichen Festsetzungen geregelten "Anlagen zur Nutzung von Windenergie" und dazugehörige Nebenanlagen etc. Alle anderen Nutzungen sind nach § 30 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BauGB unzulässig.

9 Diese Rechtsfolge widerspricht dem regionalplanerischen Ordnungskonzept: Während die Windenergienutzung in den Ausschlussflächen nach den Zielfestlegungen des Regionalplans - wie dargelegt - zurücktreten und andere Ansprüche an die Raumnutzung nicht blockieren soll, bewirkt die Antragsgegnerin mit der Festsetzung eines Sondergebiets für die Windenergie in den Ausschlussflächen, dass dort nur Windenergienutzung zulässig ist und alle anderen Ansprüche an die Raumnutzung zurücktreten müssen. Sie überschreitet damit ihre nach § 1 Abs. 4 BauGB bestehenden Konkretisierungsbefugnisse. Das hat das Oberverwaltungsgericht richtig gesehen.

10 2. Die weitere Frage,
ob § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 1 Abs. 4 BauGB ineinander greifen mit der Folge, dass sich aus einem Verstoß einer Gemeinde gegen die Zielanpassungspflicht bei der Bauleitplanung zugleich die fehlende Vollzugsfähigkeit des Bebauungsplans im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergebe,
ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Annahme, dass der Bebauungsplan rechtswidrig sei, selbständig tragend mit einem Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB begründet (UA Rn. 50 ff.). Die weitere Begründung, "ferner" liege ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB vor, weil es an der Vollzugsfähigkeit des Bebauungsplans fehle (UA Rn. 59), kann deshalb hinweggedacht werden, ohne dass sich am Ausgang des Rechtsstreits etwas ändert.

11 Gleiches gilt, soweit die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen einer gerügten Abweichung des angegriffenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts begehrt (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auch diese Rüge zielt auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, die zu der auf § 1 Abs. 4 BauGB gestützten, selbständig tragenden Begründung hinzutreten.

12 Hiervon unabhängig hat das Oberverwaltungsgericht einen Verstoß gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB zutreffend bejaht. Nach seinen Feststellungen soll mit der Planung eine Feinsteuerung in Bezug auf eine konkrete Standortzuweisung der Windenergieanlagen erfolgen (UA Rn. 60). Zur Förderung dieses Planungsziels kann aber die Ausweisung eines sonstigen Sondergebiets "Windenergie" auf einer Fläche nichts beitragen, in welcher die Ausweisung von Baufenstern für Windenergieanlagen regionalplanerisch wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 4 BauGB unzulässig wäre. Von dieser Warte aus erweist sich die Planung mangels einer positiven Planungskonzeption als nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB unzulässige Verhinderungsplanung (BVerwG, Urteile vom 27. März 2013 - 4 C 13.11 - BVerwGE 146, 137 Rn. 8 f. und vom 10. September 2015 - 4 CN 8.14 - BVerwGE 153, 16 Rn. 11).

13 3. Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde auch nicht auf mit der Frage,
ob ein Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 7 Nr. 3 ROG <in der bis zum 28. November 2017 geltenden Fassung> vorliegt, wenn die Gemeinde eine durch Zweckfortfall offensichtlich funktionslos gewordene Festlegung eines regionalplanerischen Ausschlussbereichs "Leitungskorridor" unangewendet lässt und die Regelungslücke durch rechtsanaloge Erstreckung der positiven Funktionszuweisung nachvollziehend schließt.

14 Die Frage zielt auf die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts (UA Rn. 56), das Baufenster R 3 liege zwischen den beiden Teilflächen des Vorrang- und Eignungsgebiets und sei nach dem Regionalplan ausdrücklich von Windenergieanlagen freizuhalten. Die Beschwerde meint, vorliegend komme die Funktionslosigkeit der raumordnerischen Festlegung eines Schutzkorridors für die 380-kV-Freileitung in Betracht, weil die Kabeltrasse unstreitig nicht mehr existiere und somit kein überörtliches Raumordnungsinteresse mehr für die Beibehaltung des Schutzkorridors streite.

15 Auch diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Denn von den Annahmen, die die Beschwerde ihrer Frage unterlegt, ist das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1998 - 9 B 197.98 - juris m.w.N.). Es hat offen gelassen, ob der Regionale Planungsverband eine Änderung des Vorrang- und Eignungsgebiets anstrebt oder eine Herausnahme des Baufensters nachträglich möglich ist, weil für das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB weder die tatsächliche Situation im Plangebiet noch zukünftige Planungen maßgeblich seien, sondern allein darauf abzustellen sei, dass der Korridor nach der derzeit gültigen Zielfestlegung freizuhalten sei. Zu einer von der Beschwerde für möglich gehaltenen Funktionslosigkeit der Zielfestlegung fehlen ausreichende tatsächliche und rechtliche Feststellungen. Die Revision kann aber nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, wenn die Vorinstanz eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, vielmehr lediglich die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1998 - 9 B 197.98 - juris m.w.N.).

16 Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.