Beschluss vom 01.06.2015 -
BVerwG 9 B 61.14ECLI:DE:BVerwG:2015:010615B9B61.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.06.2015 - 9 B 61.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:010615B9B61.14.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 61.14

  • VG Freiburg - 21.06.2007 - AZ: VG 4 K 374/06
  • VGH Mannheim - 07.05.2014 - AZ: VGH 3 S 2382/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juni 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten über die Teilrücknahme und die Neuausstellung einer Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG.

2 Die Klägerin schloss mit der Beklagten im März 2001 einen notariellen Kaufvertrag über zukünftiges Teileigentum an einem Grundstück, welches sich innerhalb eines förmlich festgelegten Sanierungsgebietes befand. In § 2 Nr. 1 des Kaufvertrages wird für das Sondereigentum und den Miteigentumsanteil ein Kaufpreis von 1 400 000 DM genannt. § 2 Nr. 2 des Kaufvertrages bestimmt:
"Der Kaufpreis ist in Höhe von 849 493 DM am Tag der tatsächlichen Übergabe des Kaufgegenstandes (...) zu zahlen. (...)
Der Restkaufpreis in Höhe von 550 507 DM wird dem Käufer bis zum Eintritt der jeweiligen Fälligkeitstermine der dem Käufer gem. § 6 der dieser Urkunde als Anlage beigefügten Fördermittelvereinbarung gewährten Fördermittel in entsprechender Höhe zinslos gestundet. (...)
Die Höhe des zunächst gestundeten Restkaufpreises entspricht bei Vertragsschluss der Höchstsumme der Fördermittel gemäß der Vereinbarung in der Anlage zu diesem Vertrag.
Sollten die Fördermittel jedoch nicht in dieser Höhe gewährt werden, verringert sich der Restkaufpreis entsprechend. (...)"

3 In der im Kaufvertrag erwähnten Fördermittelvereinbarung - im anschließenden Rechtsstreit Modernisierungsvertrag genannt - hatte sich die Klägerin gegenüber der Beklagten verpflichtet, auf ihre Kosten Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen; die Beklagte hatte sich zur "Gewährung eines Kostenerstattungsbetrages" in Höhe von insgesamt 550 507 DM verpflichtet. Nachdem zwischen den Parteien Unstimmigkeiten über die Abwicklung des Kaufvertrages entstanden waren, schlossen sie im Dezember 2002 einen - im Folgenden Vergleichsvertrag genannten - Vertrag zur Abwicklung des notariellen Kaufvertrages. Nach diesem zur Abgeltung aller gegenseitigen Forderungen geschlossenen Vertrag sollte der Kaufpreis 849 493 DM betragen.

4 Unter dem 26. März 2003 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Bescheinigung, wonach deren Maßnahmen zu Aufwendungen in Höhe von 746 553,30 € (= 1 460 131 DM) ohne Mehrwertsteuer geführt hatten. Des Weiteren wurde bescheinigt, dass für die durchgeführten Maßnahmen aus öffentlichen Mitteln keine Zuschüsse gewährt würden. Auf Gegenvorstellungen des zuständigen Finanzamts hin hob die Beklagte ihre Bescheinigung teilweise auf und ersetzte sie unter dem 13. März 2006 durch eine neue Bescheinigung des Inhalts, dass aus öffentlichen Mitteln Zuschüsse von insgesamt 281 469,75 € (= 550 507 DM) gewährt und im Wege der Verrechnung geleistet worden seien.

5 Die hiergegen gerichtete Klage blieb in den beiden Vorinstanzen erfolglos. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der erkennende Senat das Berufungsurteil vom 25. Juni 2010 mit Beschluss vom 3. August 2011 - 9 B 76.10 - wegen eines Gehörsverstoßes aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Dieser habe das Vorbringen der Klägerin zur Bedeutung der in § 2 Nr. 2 des notariellen Kaufvertrages enthaltenen Klausel übergangen, nach der sich der zunächst gestundete Restkaufpreis bei Nichtgewährung der Fördermittel entsprechend verringere. Wäre diese Klausel im Sinne der Klägerin dahin auszulegen, dass der Kaufpreis in Höhe ausbleibender Fördermittel des Landes hätte verringert werden sollen, könnte nicht - wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen - ein durch Verrechnung gewährter Zuschuss in Höhe von 281 469,75 € abgezogen werden, sondern nur der erheblich geringere Zuschuss, den das Land tatsächlich bewilligt habe.

6 Mit Urteil vom 7. Mai 2014 hat der Verwaltungsgerichtshof erneut die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Er hat an seiner Auffassung festgehalten, der Klägerin seien Fördermittel in der am 13. März 2006 bescheinigten Höhe im Wege der Aufrechnung gewährt worden. Mit der im Modernisierungsvertrag festgelegten Beteiligung der Beklagten an den Modernisierungskosten sei auch unter Berücksichtigung der Restkaufpreisklausel in § 2 Nr. 2 des Kaufvertrages keine Minderung des Kaufpreises, sondern die Gewährung eines zweckgebundenen Zuschusses vereinbart worden. Dieser sei rechtlich unabhängig von einer möglichen Erstattung des Förderbetrages durch das Land.

7 Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

II

8 Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

9 1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nicht in Betracht, weil mit den Fragen
ob im Rahmen des § 7h EStG der allgemeine Zuschussbegriff des Einkommensteuergesetzes gilt, also tatsächlich entsprechende Vermögensbewegungen erfolgt sein müssen oder ob man durch schuldrechtliche Verträge vereinbaren kann, dass so getan wird, als ob eine Vertragspartei Aufwendungen gehabt hätte bzw. als ob Zuschüsse geflossen seien,
ob Zuschüsse nicht nur gegen die gesamte Steuersystematik angenommen werden können, sondern auch gegen § 194 BauGB
und ob auf der Grundlage von Fiktionen Bürger besteuert werden dürfen,
keine konkreten, fallübergreifenden Rechtsfragen bezeichnet werden, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs von Bedeutung waren und deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Vielmehr kleidet die Beschwerde ihre Angriffe gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des vorliegenden Streitfalles durch den Verwaltungsgerichtshof erneut nur in abstrakte hypothetische Fragen, die in den Feststellungen und Rechtsausführungen des angefochtenen Urteils keine hinreichende Grundlage finden (vgl. den Beschluss des Senats vom 3. August 2011 - 9 B 76/10 - juris Rn. 7 zu den schon damals weitgehend wortgleich aufgeworfenen Fragen).

10 An dieser Bewertung ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin in der Auslegung der umstrittenen Klausel in § 2 des Kaufvertrages nunmehr auch einen "Verstoß gegen die Denkgesetze und damit gegen die §§ 133, 157 BGB" erblickt. Denn auch insoweit gelingt es der Beschwerde nicht, eine fallübergreifende Frage von allgemeiner Bedeutung zu formulieren, die in dem erstrebten Revisionsverfahren einer grundsätzlichen Klärung bedürfte. Vielmehr erschöpft sich ihr Vorbringen nach Art einer Berufungs- oder Revisionsbegründung in einer auf den Streitfall bezogenen Kritik an dem vom Verwaltungsgerichtshof gefundenen Auslegungsergebnis.

11 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Der mit der Zurückverweisung verbundene Hinweis des Senats, der Verwaltungsgerichtshof müsse "in eine nähere Prüfung der Bedeutung der genannten Klausel des notariellen Kaufvertrages im Kontext der vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten" eintreten und habe dabei gegebenenfalls tatsächliche Absprachen und den tatsächlichen Wert der von der Klägerin erworbenen Immobilie zu würdigen (Beschluss vom 3. August 2011 - 9 B 76.10 - juris Rn. 8), stellt keinen abstrakten Rechtssatz dar, von dem der Verwaltungsgerichtshof im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO abgewichen sein könnte. Ein etwaiger Verstoß gegen die Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO ist vielmehr unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu würdigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 B 1.11 - juris Rn. 4).

12 3. Eine Zulassung der Revision wegen Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt schließlich ebenfalls nicht in Betracht.

13 a) Die sinngemäß erhobene Verfahrensrüge, der Verwaltungsgerichtshof habe bei seiner neuerlichen Berufungsentscheidung die Bindungswirkung des zurückweisenden Senatsbeschlusses vom 3. August 2011 nicht beachtet, ist unbegründet.

14 Nach § 144 Abs. 6 VwGO, der auch für Zurückverweisungen nach § 133 Abs. 6 VwGO gilt, hat das Tatsachengericht seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen. Die Bindungswirkung bezieht sich auf alle Punkte der rechtlichen Würdigung, die für die Aufhebung des ersten Urteils ursächlich (tragend) gewesen sind, einschließlich der logischen Voraussetzungen für die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 B 1.11 - juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Bindungswirkung hat der Verwaltungsgerichtshof nicht missachtet, denn er hat die im Zurückverweisungsbeschluss genannte Klausel im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen des § 2 Nr. 2 des Kaufvertrages sowie des Modernisierungsvertrages und des Vergleichsvertrages einer eingehenden Auslegung unterzogen (UA S. 21 ff.). Dabei ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass mit dem in dieser Klausel enthaltenen Begriff "Fördermittel" nur der Kostenerstattungsbetrag (in Höhe von 281 469,75 €) gemeint sein könne, der rechtlich unabhängig sei von einer möglichen Erstattung des Förderbetrages durch das Land; damit scheide eine Kaufpreisminderung aufgrund der Klausel aus.

15 Hiervon ausgehend musste der Verwaltungsgerichtshof nicht tragend auf den tatsächlichen Wert der Immobilie abstellen. Insofern enthält der Zurückverweisungsbeschluss entgegen der Annahme der Beschwerde keine zwingende Vorgabe, wie sich schon anhand der Wortwahl ("ggf.") in Rn. 8 des Beschlusses zeigt.

16 b) Auf einen Verfahrensmangel führt auch nicht die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der "Auslegung der Preisfindungsvereinbarung in § 2 des ursprünglichen Kaufvertrages" gegen die Denkgesetze bzw. die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB verstoßen. Die Auslegung und rechtliche Würdigung vertraglicher Vereinbarungen ist Teil der Anwendung des sachlichen Rechts, so dass Fehler, die dem Gericht dabei unterlaufen, grundsätzlich materiellrechtliche Mängel sind. Auf einem Verfahrensfehler kann die Vertragsauslegung allenfalls dann beruhen, wenn das Gericht entgegen dem in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Gebot, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, den tatsächlichen Prozessstoff verkannt, etwa vertragliche Regelungen falsch gelesen oder sprachlich falsch verstanden hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. November 2001 - 9 B 46.01 - juris Rn. 3 f. und vom 11. September 2014 - 9 B 21.14 - juris Rn. 13, jeweils m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, denn der Verwaltungsgerichtshof hat den Wortsinn der hier einschlägigen Vertragsurkunden erfasst und deren Bedeutung eingehend diskutiert. Ob er dabei den rechtlichen Maßstäben, wie sie insbesondere in den §§ 133, 157 BGB ihren Niederschlag gefunden haben, hinreichend entsprochen hat, ist keine Frage des Verfahrensrechts.

17 c) Ebenso wenig hat die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dargelegt.

18 Die Annahme der Beschwerde, die Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichtshofs im Zusammenhang mit der Auslegung der Vertragsklauseln sei "für steuerrechtlich denkende Menschen (...) nicht vorhersehbar" gewesen, führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Ein Überraschungsurteil liegt nur vor, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2005 - 6 B 63.05 - juris Rn. 9 m.w.N.). So liegen die Dinge hier nicht. Die im Berufungsurteil vom 7. Mai 2014 vertretene Auslegung der Vertragsklauseln, mag sie inhaltlich zutreffend sein oder nicht, hält sich auch unter Berücksichtigung des zurückverweisenden Beschlusses des Senats vom 3. August 2011 jedenfalls im Rahmen dessen, worauf sich ein kundiger Prozessbeteiligter in der Lage der Klägerin einstellen musste. Das gilt insbesondere deshalb, weil der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Urteil vom 25. Juni 2010 die Auffassung vertreten hatte, der vereinbarte Förderbetrag sei ein zweckgebundener, von einer möglichen Erstattung durch das Land unabhängiger Zuschuss, der nicht auf eine Minderung des Kaufpreises abziele.

19 Soweit die Beschwerde im Gewand der Gehörsrüge den Vorwurf willkürlicher Rechtsanwendung erhebt, betrifft dies nicht das Verfahrensrecht, sondern den Kern materieller Rechtsfindung. Diesbezügliche Rügen führen nicht, nicht einmal ausnahmsweise im Fall objektiver Willkür, auf einen Verfahrensfehler (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 9 B 71.11 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 42 Rn. 8 m.w.N.).

20 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 7 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.