Beschluss vom 01.03.2010 -
BVerwG 8 C 48.09ECLI:DE:BVerwG:2010:010310B8C48.09.0

Beschluss

BVerwG 8 C 48.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
Dr. Held-Daab
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Kläger vom 9. Dezember 2009 gegen das Urteil des Senats vom 25. November 2009 - BVerwG 8 C 12.08 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Rügeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge der Kläger hat keinen Erfolg.

2 Nach § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (Beschluss vom 17. August 2007 - BVerwG 8 C 5.07 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 4; vgl. BFH, Beschluss vom 22. April 2009 - VI S 4/09 - juris, zu § 10 Abs. 3 Halbs. 2 FGO).

3 Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO bleibt die Anhörungsrüge erfolglos, weil das Urteil vom 25. November 2009 die Kläger nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es ist nicht als unzulässige Überraschungsentscheidung zu qualifizieren, weil es den räumlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG unter Berücksichtigung des Geltungsbereichs des alliierten und bundesdeutschen Wiedergutmachungsrechts bestimmt, ohne dass den Klägern zuvor ein rechtlicher Hinweis erteilt oder ihnen im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Schriftsatznachlass gewährt worden wäre.

4 Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Das Gericht ist danach nicht grundsätzlich verpflichtet, vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>).

5 Hier musste ein solcher Prozessbeteiligter bereits nach dem erstinstanzlichen Teilurteil und der Revisionsbegründung der Beklagten davon ausgehen, dass der Geltungsbereich rückerstattungsrechtlicher Schadensersatzregelungen und die Frage, ob eine vermögensrechtlich zu schließende Wiedergutmachungslücke bei Anwendbarkeit solcher Regelungen zu verneinen sei, für die revisionsgerichtliche Entscheidung erheblich werden konnten. Das angegriffene Teilurteil hatte die Möglichkeit des Bestehens rückerstattungsrechtlicher Sekundäransprüche und die Frage, ob dies einer Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG entgegenstehe, ausdrücklich angesprochen. Dass sein Verneinen der Frage im Revisionsverfahren nicht überprüft werden würde, konnte ein sachkundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem weiteren Prozessverlauf nicht unterstellen. Das verwaltungsgerichtliche Teilurteil wurde von der Revision umfassend angegriffen. Dabei ging die Revisionsbegründung der Beklagten ausdrücklich auf die Möglichkeit einer rückerstattungsrechtlichen Wiedergutmachung ein. Darüber hinaus ergab sich aus den von den Klägern vorgelegten Wiedergutmachungsakten, dass einer ihrer Rechtsvorgänger seinerzeit einen rückerstattungsrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend gemacht hatte und das betreffende Verfahren noch ruhte.

6 Auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und ihrer schriftsätzlichen Erörterung im Rahmen der Terminsvorbereitung musste ein kundiger Prozessbeteiligter bei gewissenhafter Vorbereitung damit rechnen, dass der Geltungsbereich des alliierten Rückerstattungsrechts entscheidungserheblich sein könnte. Die bisherige Rechtsprechung hatte zur Konkretisierung des Sinns und Zwecks des Vermögensgesetzes, Wiedergutmachungslücken zu schließen, stets darauf hingewiesen, dass nach 1945 im Beitrittsgebiet keine dem alliierten oder bundesdeutschen Wiedergutmachungsrecht gleichwertigen Regelungen galten (vgl. die Nachweise unter Ziff. 2. Buchst. c des Urteils vom 25. November 2009). Selbst die Begründung der Anhörungsrüge räumt ein, dass das angegriffene Urteil vom 25. November 2009 und die nach Meinung der Kläger vom Senat vertretene „neue These“ im Sinne einer normativen Betrachtungsweise an die bisherige Rechtsprechung zur Wiedergutmachungslücke anknüpft, und bezeichnet insofern die - darin erläuterte - Abgrenzung ausdrücklich als deren Weiterentwicklung. Dass dies auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zu den Fällen des Gebietstauschs zutrifft, insoweit also entgegen der Rügeschrift keine „Abkehr“ vorliegt, ergibt sich bereits aus dem angegriffenen Urteil (vgl. dort Ziffer 2. Buchst. c - im vorletzten Absatz vor Ziffer 3.).

7 Die materiellrechtliche Würdigung durch das Revisionsgericht kann nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 152a VwGO sein. Auf den Einwand der Kläger, der Senat habe den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG nicht „normativ“ abgrenzen dürfen, sondern das Bestehen eines rückerstattungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs prüfen, verneinen und deshalb mindestens eine analoge Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG bejahen müssen, kommt es danach nicht an.

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.